Rheingold - Gesichter eines Flusses (2014)

Im Flug über eine europäische Lebensader

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Wenn man dem Lauf des Rheins von der Quelle bis zur Mündung aus der Vogelperspektive folgt, erkennt man, warum dieser Fluss als mitteleuropäische Lebensader bezeichnet wird. Seit den Zeiten der Kelten und der Römer siedelten die Menschen an seinen Ufern, führten Kriege, trieben Handel. Sie begradigten und verschmutzten das Wasser, das sie reich machte und zu Mythen und romantischen Geschichten inspirierte. Baudenkmäler, Industrie- und Agrarregionen fädeln sich wie die Perlen an einer Kette entlang des Rheins auf, der sich somit hervorragend als Wegweiser für eine lehrreiche europäische Kulturfahrt eignet. Der Dokumentarfilm von Peter Bardehle und Lena Leonhardt ist mit der Heli-Kamera gedreht, wie die aus dem gleichen Hause stammenden Werke Die Alpen – Unsere Berge von oben, Die Nordsee von oben und Die Ostsee von oben.

Der Rhein bekommt selbst eine Stimme als Ich-Erzähler: Ben Becker spricht mit einem tiefem, sonoren Timbre, das zu einem Flussgott passen würde. Der Strom gibt Legenden und subjektive Eindrücke zum Besten: In der Nähe des Loreley-Felsens ist von den vielen Schiffen die Rede, die er zerschellen sah, später am Unterlauf sagt er: "Ich kann das Meer spüren." Eine zweite Erzählstimme, die Anne Moll gehört, ist für die Fakteninformation zuständig, aber nicht nur das: Sie vergleicht diese äußere, sachliche Ebene in Bild und Text auch mit Motiven aus Richard Wagners Der Ring des Nibelungen, vor allem der Oper Das Rheingold. Der Schatz aus dem Wasser, der Macht und Reichtum verspricht, aber auch mit einem Fluch behaftet ist, dient dem Film als emotionaler Leitfaden, um den Umgang des Menschen mit dem Wasser zu betrachten. Wirtschaftliches Wachstum führte zu Naturzerstörung und diese wiederum zu später Einsicht, dass man nicht nur vom Fluss leben kann, sondern ihn auch pflegen muss. Die Filmmusik von Steffen Wick und Simon Detel greift ebenfalls Motive aus der titelgebenden Wagner-Oper auf.

Von seinen kleinen Quellseen in den Schweizer Alpen bis zur niederländischen Nordseeküste bildet der Rhein einen Querschnitt durch die Geografie Mitteleuropas. Die Rheinfälle, der Bodensee, die naturbelassenen Auwälder bei Taubergießen, das malerische Mittelrheintal zeigen, wie schön die Landschaft abschnittsweise selbst an diesem weitgehend kanalisierten Schifffahrtsweg sein kann. Besonders eindrucksvoll wirken aus der Luft betrachtet die Stadtbilder, die Burgen und die prächtigen Fassaden der Dombauwerke in Straßburg, Speyer, Worms, Köln, denen sich die Kamera lautlos nähert. Beim Flug über das Elsass wird an die wenig friedliche deutsch-französische Geschichte erinnert. Die Cineflex-Kamera fängt auch moderne Architektur, etwa in Düsseldorf und Rotterdam, ein, interessiert sich für ein deutsches Weinfest mit Ferkelrennen und den Betrieb im Tagebau Garzweiler. Es ist dieser ständige Wechsel von Sehenswürdigkeiten, Tradition und Industrielandschaften, etwa bei Ludwigshafen oder wenn ein Atomkraftwerk in Sicht kommt, der den Charakter dieses dichtbesiedelten und intensiv genutzten Flusses am besten einfängt. Selbst das Hochwasser von Köln 1993 und die Sandoz-Chemiekatastrophe von 1986 finden in Form von Archivmaterial Erwähnung.

Weil am Rhein seit Jahrhunderten das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben pulsiert, kann eine solche Gesamtschau nicht in die Tiefe gehen. Außerdem müsste der Film ja dafür seine Flugbewegung unterbrechen. Oft hätte man gerne mehr erfahren und sicherlich lässt sich über die Auswahl der Bilder und Themen im einzelnen debattieren. Man bekommt jedenfalls Lust, einige der vielen nur so kurz gestreiften Städte zu besichtigen. Der Vergleich mit dem Ring des Nibelungen, wo der Fluss das Gold zurückbekommt, lässt übrigens erahnen, dass die Sehnsucht nach naturbelassenen Landschaften womöglich keine Neuerfindung des modernen Menschen ist. Die aktuellen Bilder einer Fischtreppe, von zahlreichen Storchennestern oder selbst von zufrieden ruhenden Kühen auf einem sandigen Uferfleck vermitteln ein wenig von dieser zeitlosen Genugtuung, die der Fluss als Naturraum seinem Betrachter schenken kann.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/rheingold-gesichter-eines-flusses-2014