Der englische Patient (1996)

Das Meisterwerk von Anthony Minghella

Dieser ebenso grandiose wie berühmte Film aus dem Jahre 1996 vermag es, auf unterschiedlichen Ebenen vor dem Szenario von Krieg und Grauen mehr als eine wunderschöne, melancholische Liebesgeschichte zu erzählen. Die Liste der Auszeichnungen, die Der englische Patient / The English Patient neben neun Oscars errang, ist gewaltig lang. Regisseur Anthony Minghella, der auch das Drehbuch nach dem gleichnamigen Erfolgsroman von Michael Ondaatje verfasste, verstarb in diesem Frühjahr unerwartet im Alter von nur 54 Jahren. Nun erscheint sein bekanntester Film in einer Premium Edition mit drei DVDs, von denen zwei mit reichlich sehenswertem zusätzlichem Material ausgestattet sind, darunter einige spannende Dokumentationen über die Entstehung und Hintergründe der Geschichte, die frei interpretiert an die Biographie des Grafen Ladislaus Almásy angelehnt ist, eines ungarischen Wüstenforschers, Piloten und Geheimagenten des Zweiten Weltkriegs, dessen tatsächliches Leben und Wirken in von ihm selbst verfassten Expeditionsberichten über die Sahara nachzulesen sind, die 1997 unter dem Titel Schwimmer in der Wüste neu aufgelegt wurden.

Italien gegen Ende des Zweiten Weltkriegs: Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, mit heftigen Schmerzen an der Grenze zum Tode balancierend und einem nur lückenhaften Erinnerungsvermögen wird ein Mann aus einem Flugzeugwrack geborgen, der schlicht als "englischer Patient" (Ralph Fiennes) bezeichnet wird. Die kanadische Krankenschwester Hana (Juliette Binoche), die in diesen Tagen einige ihr nahe stehende Menschen verliert und am Rande des Erträglichen um Haltung ringt, verlässt ihre mobile Lazaretteinheit und quartiert sich gemeinsam mit dem rätselhaften Piloten in einem zerfallenden Kloster in der Toskana ein, um ihn dort in Ruhe zu pflegen. Zu Hana und ihrem Patienten stoßen der Kanadier Caravaggio (Willem Dafoe), der für den britischen Geheimdienst gearbeitet hat und in der Kriegsgefangenschaft gefoltert wurde, und der indische Leutnant Kip Singh (Naveen Andrews), der als Bombenspezialist für die britische Armee die Umgebung entschärft. Es entwickelt sich eine kleine Gesellschaft mit beschränkter Haltbarkeit zwischen geballten Emotionen von Zuneigung und Ausgelassenheit über Misstrauen und Angst bis hin zu Ohnmacht und Hass, während der sterbende englische Patient Hana die tragische Liebesgeschichte erzählt, die sein Schicksal bestimmt hat und in seinem schwindenden Bewusstsein zu dämmern beginnt.

Der englische Patient gehört zu jenen seltenen Filmen von geradezu verzaubernder Intensität, die den Zuschauer dermaßen in ihr fiktives Universum bannen, dass die stilistischen Details und formalen Feinheiten erst bei einem wiederholten Anschauen wahrgenommen werden, so mitreißend wirkt der Fluss der Geschichte, so emphatisch agieren die Darsteller. Die verschlungene Dramaturgie ist dabei derart geschickt inszeniert, dass die Spannung sich durch zusätzliche Komponenten immer wieder neu einstellt, während das Innenleben der zerrissenen Charaktere differenziert und bewegend in faszinierenden Bildern transportiert wird, flankiert vom verbindenden Element der Narration, dem im gesamten Film eine tragende Rolle zukommt. Und es sind nicht zuletzt die großen Themen von Identität, Liebe und Tod, die berühren und deren schlichte Philosophie schwermütig die Handlung begleitet. Eine wahrhaft gelungene Literaturverfilmung, deren Vorlage auch nach dem Film noch absolut lesenswert ist. Michael Ondaatje lässt in seinem Roman den englischen Patienten bemerken: "Wir sterben und bergen in uns den Reichtum von Geliebten und Stämmen, den Geschmack von Speisen, die wir gegessen haben, Körper, in die wir eingetaucht und die wir hochgeschwommen sind, als wären es Flüsse von Weisheit, Charaktere, in die wir geklettert sind, als wären es Bäume, Ängste, in denen wir uns versteckt hielten, als wären es Höhlen. Ich wünsche mir all dies auf meinem Körper verzeichnet, wenn ich tot bin."
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-englische-patient-1996