Party Girl

Bis die Lichter ausgehen

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Was für ein unglaubliches Gesicht Angélique (Angélique Litzenburger) hat. So engelshaft, wie ihr Name vermuten lässt, ist es allerdings nicht. Die Falten sind tiefe Furchenlandschaften, die ihr Gesicht prägen und sich auch nicht von der dicken Schminke im Zaum halten lassen, die sie gern aufträgt. Angélique ist Anfang 60, ein Fakt, den sie mal mehr, mal weniger erfolgreich zu ignorieren weiß. Ihre langen, braunen Haare sind in Locken gedreht und hochtoupiert, sie trägt mit Vorliebe Leoparden- oder Zebraleggins zu ihren unzähligen Ringen und Kettchen. Doch Angélique ist keine Trashperle, sie ist - wenn man so will - ein Opfer ihrer selbst, eine Hängengebliebene, ein Party Girl, das nicht aufhören will zu tanzen, selbst wenn der Club schon zugemacht hat und die Putzfrau den Dancefloor wischt.
Deshalb ist sie auch die älteste Animierdame im Cabaret Las Vegas, einem Stripshow-Laden. Hinter ihr tanzen die jungen Mädchen an der Stange, während Angélique an der Bar auf Kundschaft wartet. Doch die bleibt inzwischen meistens aus. So besucht sie eines Tages einen alten Stammkunden, Michel, der sich auch nicht mehr blicken lässt. Ertragen konnte er es nicht mehr, dass er für sie zahlen muss, denn Michel liebt Angélique. Er will sie heiraten.

Bumm.

Und mit einem Mal von jetzt auf gleich gibt es diese Chance in ihrem Leben, die Chance sich doch noch einmal zu verwandeln, etwas Neues zu beginnen, einen anderen Weg zu gehen, eine Vorwärtsbewegung zu machen, wenn auch auf Michels Rücken. Und so sagt Angélique zu und verlässt ihr kleines Puffzimmer für das Haus mit Garten und Michel. Die Hochzeitsvorbereitungen bringen tatsächlich Bewegung in ihr Leben, denn Heiraten heißt Familie einladen und plötzlich gibt es da mehr als Party: es gibt vier Kinder, drei davon erwachsen und mit einer liebevollen Geduld gegenüber den Kapriolen ihrer Mutter ausgestattet. Das vierte Kind, Cynthia (Cynthia Litzenburger) ist gerade einmal 16 Jahre alt und lebt bei einer Pflegefamilie. So pendelt Angélique hin und her zwischen Familie und einem neuen Leben und dem alten Leben, den alten Freundinnen, allesamt Prostituierte, die ihr eine laute und schlagfertige Ersatzfamilie waren. Aus dem Pendeln wird jedoch ganz bald ein Taumeln, ein Schwanken, eine Sehnsucht nach dem Leben, wie sie es kennt. Denn das Partygirl lässt sich so leicht nicht abschütteln.

Party Girl klingt erstmal wie eine dysfunktionale Version von Gloria, einem weiteren Portrait einer Frau mittleren Alters, die sich neu zu orientieren sucht. Doch der Film ist mehr als das. Geschrieben wurde das Drehbuch von Samuel Theis, dem Sohn Angéliques, der den Film mit zwei Co-Regisseurinnen und seiner ganzen Familie semifiktional nachgespielt hat. Angélique spielt sich selbst, die Ereignisse und Lebensgeschichten, die Furchenlandschaften, Zebraleggins und Goldkettchen - alles echt. Und genau das macht diesen Film auch zu einem solch eindringlichen Portrait, nicht nur dieser Frau, die sich in keine Kategorie pressen lässt, sondern auch der Familie als Kern einer sozialen Schicht an einem Ort, den man wahrscheinlich im Kino noch nie portraitiert gesehen haben wird: der Grenzregion zwischen Lothringen und dem Saarland. Und genau da wird es auch politisch über die Grenzen hinaus, denn durch den repressiven Umgang mit der Prostitution in Frankreich ist das Saarland mit seiner unmittelbaren Nähe zur Grenze zu einer Art Mekka für Liebesdienste geworden.

Die Grenzregion ist aber nicht das Einzige, was hier Licht auf ansonsten im Dunkeln Liegendes wirft. Eine Frau bzw. eine Figur wie die der Angélique ist wahrlich selten auf der Leinwand zu sehen. Kein Wunder also, dass sofort die Assoziation zu Gloria entsteht - und zwar einfach deshalb, weil beide Filme das Alleinstellungsmerkmal besitzen, alternde Frauen zu portraitieren. Party Girl geht hier noch einen fast revolutionären Schritt weiter und betrachtet Angélique nicht nur in Sachen Geschlecht und Alter, sondern ebenfalls als sexuelles Wesen, welches damit sogar noch Geld verdient. Und nicht nur das: Der Film stellt auch die Frage nach der Mutter. Mutter oder Hure, diese christliche Dichotomie, die noch immer oft verankert ist, wird hier ganz offensiv und ambivalent behandelt, ohne dass jemals versucht würde, diese Frage moralisch zu verorten oder gar den Zuschauer mit einer Antwort zu bedrängen.

Denn diese Frage ist genauso schwer zu beantworten, wie die Frage ob Angélique unverantwortlich ist oder sich einfach die Freiheit nimmt, die andere Menschen immer wollen, sich aber nie trauen. Letztendlich kann man sich als Zuschauer nur selbst eine Meinung bilden - der Film bietet dazu unendlich viel facettenreiches und emotionalisierendes Material.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/party-girl