96 Hours - Taken 3

Ein Abgesang

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Superhelden heißen so, weil sie besondere Fähigkeiten haben, mit deren Hilfe sie in der Lage sind, Herausforderungen zu bestehen, die für normal Sterbliche unmöglich wären. Ex-CIA-Agent und Familienvater Bryan Mills (Liam Neeson) ist so ein Superheld. Bereits zweimal hat er mit seinen nahezu überirdischen Fähigkeiten des erfahrenen Agenten seine Familie aus den Fängen fieser Verbrecher befreit. Doch diesmal scheitert er und das nicht nur, weil er nicht verhindern kann, dass seine (inzwischen Ex-)Frau Lenore (Famke Janssen) umgebracht wird – der ganze Film 96 Hours – Taken 3 ist ein Paradebeispiel des Misslingens und gerade darin wieder groß.
In anderen Filmen musste Mills seine Familie retten, jetzt geht es ihm selber an den Kragen, denn er steht unter Mordverdacht. Gejagt von dem findigen Polizeiinspektor Franck Dotzler (Forest Whitaker) versucht der Ex-Agent herauszufinden, wer seine Ex-Frau wirklich auf dem Gewissen hat. Nebenbei will er seine Tochter Kim (Maggie Grace) so gut es geht (es geht nicht so gut) aus allem heraushalten. Auf den ersten Blick ganz Held, prügelt und ballert sich Mills durch die Geschichte, stellt viele schlaue Sachen an (dazu gleich mehr) und kommt schließlich den wahren Hintergründen der Tat auf die Spur. Doch auch wenn 96 Hours – Taken 3, dessen Titel schon gescheitert ist, vordergründig die Geschichte eines souveränen Helden erzählt, der zum Schluss scheinbar alle Herausforderungen gemeistert hat, ist die Gelingensmär doch in Wirklichkeit die Geschichte einer absoluten Niederlage. Das fängt gleich damit an, dass Mills nicht verhindern kann, dass Lenore stirbt. Dies ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil ihr Tod für die Figuren emotional überhaupt gar keine Rolle spielt, zum anderen, weil es den Machern des Films gar nicht bewusst scheint, welche potenziell fantastische Figur sie hier opfern.

Noch nicht einmal die Aufklärung des Verbrechens, Rache inklusive, gelingt so gut, wie uns der Film glauben machen will. Seine Hiebe treffen stets die Falschen; und abgesehen davon, dass Folter grundsätzlich die schmerzgewordene Manifestation des Versagens ist, kann ihm auch das Waterboarding nicht die dringend benötigte Information verschaffen. Zum Schluss, das auf den ersten Blick wie ein Happy End aussehen mag, sind nur die Minimalziele erreicht beziehungsweise ist nur Schadensbegrenzung betrieben. Doch das Böse siegt immer. Es gönnt dem Papi seinen Moment, das kurze Aufatmen nach dem Etappensieg, weil es weiß, dass das Spiel nach dem Abspann weitergeht. Das ist alles sehr traurig. Aber wenigstens gibt es auch manchmal was zu lachen, zum Beispiel als Mills frei nach der Methode "von hinten durch die Brust ins Auge" versucht, seiner Tochter eine Botschaft zu übermitteln. Das tut er, indem er ihr durch einen Freund die Botschaft überbringen lässt, sie möge sich doch bitte so berechenbar wie immer verhalten, was sie befolgt und es ihm ermöglicht, vorauszusehen, dass sie sich, wie jeden Morgen, in einem bestimmten Shop einen bestimmten Drink kauft (den zweiten von hinten), den er mit einem Brechmittel gestreckt hat, was sie wiederum einige Zeit später dazu nötigt, ihren College-Kurs zu verlassen und sich schnellstmöglich auf die Schultoilette zu begeben – wo ihr schlauer Daddy schon auf sie wartet.

Vielleicht sind solche Überlegungen müßig. Die Form folgt der Funktion und die heißt: unterhalten, spannend sein, niemals stillstehen. Dennoch sagt uns das einiges über das deutsche Kinoland, nämlich dass vielen herausfordernden Filmen ein Kinostart verwehrt bleibt, während der x-te Aufguss irgendwelcher Actionsülze wie selbstverständlich flächendeckend startet. Der Markt für toughe Helden, die sich ohne Rücksicht auf Verluste zum Ziel ballern, scheint nach wie vor groß. Doch auch in dieser Hinsicht will 96 Hours – Taken 3 nicht das sein, was er sein sollte. Das inhaltliche Scheitern täte der Mechanik des Actionfilms keinen Abbruch, aber diese funktioniert von sich aus nicht. Regisseur Olivier Megaton, der schon den Vorgänger inszenierte, hat hier zusammen mit Kameramann Eric Kress und den Cuttern Audrey Simonaud und Nicolas Trembasiewicz einige der schlechtesten Action-Szenen überhaupt "hingebastelt": Zusammenhanglose Fetzen Bild, die wie falsch zusammengeklebtes Daumenkino wirken. Das Gefühl für Bewegung oder gar "Action" entsteht so gar nicht erst. Das ist schade, denn Liam Neeson ist ein großartiger Schauspieler, der auch in diesem Genre schon gezeigt hat, was er kann. Er könnte der Fels in der Brandung sein, doch da ist nur Ebbe.

So ist 96 Hours – Taken 3 mit Neesons unverschuldeter Schützenhilfe nicht nur ein Abgesang auf den (Super)Helden und das moderne Actionkino, sondern und vor allem auf sich selbst. Und das womöglich gleich doppelt, denn wahrscheinlich ist der Film nicht einmal absichtlich, sondern komplett aus Versehen gescheitert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/96-hours-taken-3