Der Mann der Friseuse

Mittwoch, 29. Oktober 2014, ARTE, 20:15 Uhr

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Für manche Menschen ist der Besuch beim Friseur sogar unangenehmer als jener beim Zahnarzt, was auf den 12-jährigen Antoine (Henry Hocking) jedoch absolut nicht zutrifft. Im Gegenteil: Der stille Junge genießt das Ambiente und die Behandlung im Friseursalon durch die üppige Madame Shaeffer (Anne-Marie Pisani), auf deren Busen er einen ausführlichen, köstlichen Blick erhascht, in ganz besonderem Maße als frühes erotisches Erlebnis. Als sein Vater (Roland Bertin) sich bei ihm erkundigt, was er denn werden wolle, wenn er groß sei, handelt die lakonische Antwort Antoine eine prompte Ohrfeige ein: "Der Mann der Friseuse."
In Rückblicken erzählt Regisseur Patrice Leconte aus dem Leben seines unspektakulären Helden, der nun, bereits um die vierzig (Jean Rochefort), ungebrochen seinem Jugendtraum folgt und die anziehende Coiffeuse Mathilde (Anna Galiena) kurzerhand ohne den Vorlauf einer näheren Bekanntschaft darum bittet, seine Frau zu werden. Nach einer Bedenkzeit nimmt Mathilde tatsächlich an, und von nun an fristen die beiden ein zutiefst von filigraner Erotik geprägtes Leben im Salon Isidore, bedienen gemeinsam die karge Kundschaft und erfreuen sich an ihrer intensiven, sinnlichen Zweisamkeit.

Mit ungeheuer sanfter, geradezu zärtlicher Gemächlichkeit verläuft die glückliche Geschichte eines Paares, das gleichermaßen genügsam und genussreich in den Tag hinein lebt. Antoines Leidenschaft für seine Frau und das Friseurhandwerk zeigt sich oftmals indirekt in kleinen Gesten oder Aktionen, etwa wenn er einen Bauchtanz vollführt, um einem kleinen Jungen die Angst vor dem Haareschneiden zu nehmen. Begleitet von der stimmigen, atmosphärisch dichten Musik von Michael Nyman und betont durch die umsichtige Kamera Eduardo Serras ereignet sich hier ein filmisches, poetisch durchwirktes Fest der filigranen Empfindungen und erfüllten Sehnsüchte.

Dass Der Mann der Friseuse dennoch von einer Amour fou handelt, die eine tragische Komponente aufweist, markiert die drastische Entscheidung Mathildes, ihre Liebe niemals dem Zahn der Zeit und des Verschleißes auszusetzen. Doch die hartnäckig romantische Dramaturgie des Films widersetzt sich der rigorosen Konsequenz, zu der Mathildes Entschluss führt, und Antoine führt scheinbar unberührt von ihrer Abwesenheit das Tagesgeschäft fort – ein seltsames Ende, das reichlich Raum für Interpretationen dieses außergewöhnlichen Films schafft.

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