Suite Française

Mehr als ein schiefer Ton

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eine junge schöne Frau, die aus Vernunftgründen geheiratet hat. Ein schneidiger Offizier, der den Schrecken des Krieges Kompositionen entgegensetzt. Sie verlieben sich ineinander. Doch sie ist Französin, er ist Deutscher und es ist der Zweite Weltkrieg. Auf den ersten Blick hat Suite Française alle Zutaten für einen großen, tragischen Liebesfilm über eine Beziehung, die wegen der gesellschaftlichen Konventionen und der alltäglichen Realität nicht sein darf und kann. Hinzu kommen mit Michelle Williams und Matthias Schoenaerts zwei Hauptdarsteller, die selbst klischierten Charakteren etwas abgewinnen könnten und eigentlich unverdächtig gegen Kitsch sind. Doch bei diesem Film wünscht man sich gelegentlich, er wäre kitschig, denn dann wäre er wenigstens etwas.
Suite Française beginnt im Juni 1940 mit der Bombardierung von Paris. Die Städter flüchten vor den Angriffen aufs Land, auch in den kleinen Ort Bussy. Dort lebt Lucille (Michelle Williams) mit ihrer Schwiegermutter Madame Angellier (Kristin Scott Thomas), die sich weigert, die Realität anzuerkennen und deshalb unverdrossen weiterhin die Pacht von der armen Landbevölkerung eintreiben will. Schließlich soll ihr geliebter Sohn Gaston bei seiner Rückkehr aus dem Krieg ausreichend Geld und einen funktionierenden Betrieb vorfinden. Bis dahin haben sie und Lucille freudlos abzuwarten, daher unterbindet sie, dass Lucille Klavier spielt. Doch dann kommen nicht nur die flüchtenden Franzosen aufs Land, sondern auch die Deutschen: Bussy wird besetzt, die Soldaten in die Häuser der Bewohner einquartiert. Zu den Angelliers kommt der deutsche Offizier Bruno Frank (Matthias Schoenaerts). Eigentlich soll Lucille ihn auf Befehl der Schwiegermutter ignorieren, jedoch sehnt sie sich nach einem Gesprächspartner und fühlt sie sich ihm schon bald verbunden – insbesondere nachdem sie entdeckt hat, dass er eigentlich Komponist ist.

Die Chemie zwischen Michelle Williams und Matthias Schoenaerts stimmt, jedoch können auch sie nur wenig gegen das Drehbuch ausrichten. Suite Française basiert auf dem gleichnamigen zweiten Teil des eigentlich auf fünf Romane angelegten Zyklus über Frankreich im Zweiten Weltkrieg von Irène Némirovsky. Sie konnte ihre Romane nicht mehr beenden, da sie 1942 nach Ausschwitz deportiert wurde. Das Manuskript der ersten beiden Teile war 60 Jahre lang in den Händen ihrer Kinder, ehe sie sich zur Veröffentlichung entschlossen und aus diesen unvollendeten Romanen ein weltweiter Erfolg wurde. In dem Buch ist die Liebe von Lucille und Bruno nur eine Geschichte unter vielen, die die Lage Frankreichs in diesen Jahren schildern sollen; sie liefert eine Facette in einem weitaus größeren erzählerischen Bogen. Im Film steht sie nun klar im Zentrum, so dass Suite Française vor allem das Leben der Privilegierten im besetzen Frankreich zeigt: den französische Landadel und Geldleuten; einen deutschen Offizier, der natürlich nicht so roh ist wie seine Kameraden; empfindsame Seelen, die im Krieg weder Hunger noch Verfolgung leiden müssen. Alle anderen, weitaus interessanteren Geschichten stehen im Hintergrund, hier wird Madeleine Labarie (exzellent: Ruth Wilson) von einem deutschen Offizier bedrängt und rebelliert ihr Mann (gut: Sam Riley) mit fatalen Konsequenzen. Aber hiervon sind nur kurze Momente zu sehen, stattdessen kreisen Lucille und Bruno um sich selbst und zeichnen sich vor allem durch eine unfassbare Naivität aus.

Drehbuchautor und Regisseur Saul Dibb (Die Herzogin) und Co-Autor Matt Charman haben sich in ihrer Verfilmung also auf den melodramatischsten Handlungsstrang von allen konzentriert, der noch dazu von einem völlig verzichtbaren Voice-over von Lucille begleitet wird, der im Grunde genommen ausdrückt, was auf der Leinwand zu sehen ist. Dabei irritiert es, dass in der Originalfassung alle französischen Figuren englisch sprechen, die deutschen dann aber deutsch – es sei denn, sie sprechen mit Franzosen, dann sprechen auch sie englisch. Aber auch damit könnte Suite Française einfach ein wenig gelungenes Liebesmelodram sein, doch es gibt ein weiteres Ärgernis: Im Hinblick auf die Entstehungszeit des Romans und seiner Unvollendetheit lässt sich vielleicht eine gewisse Naivität im Hinblick auf die Realität der Zeit verstehen, das gilt aber nicht mehr für das Jahr 2015. Hier kann ein Film über eine Liebe im Zweiten Weltkrieg, basierend auf dem Buch einer jüdischen Autorin, die in Ausschwitz gestorben ist, nicht sämtliche Schrecken des Krieges mit dem Auffinden einer Jüdin, einem versteckten Kind, der Hinrichtung eines Bürgermeisters und einer Texttafel zusammenfassen. Zumal der Film aus der erstaunlichen Hintergrundgeschichte des Buchs abgesehen von einer Einblendung am Ende des Films nichts macht. Hier wäre ein großer Bogen möglich gewesen, hätten Parallelen inszeniert werden können – und hätte aus Suite Française ein guter Film werden können. Doch so bleibt am Ende nur der Eindruck unfassbarer Naivität.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/suite-francaise