Der Kuckuck und der Esel

Trotz Preisen und Lob ein schlechter, unmoralischer Film

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Der Kuckuck und der Esel ist ein schlechter Film. Er ist qualitativ schlecht: Dialoge, Schauspielerführung, Dramaturgie sind einigermaßen mangelhaft; das freilich ist bei einem Nachwuchsfilm drin, man kann es in Kauf nehmen. Der Film ist aber auch schlecht im moralischen Sinn; und dass Regisseur Andreas Arnstedt dies vielleicht nicht einmal merkt, vielleicht auch einfach ignoriert, macht alles noch schlimmer.
Der Film hat bei den Hofer Filmtagen den Förderpreis Neues Deutsches Kino erhalten. Das ist zu erklären mit den Gags, die er bereithält und die insidermäßig auf die Filmbranche zielen: all die Klischees über Fernsehredakteure, über die Bürokratie, die langsamen Mühlen, die Gremien, die Quotenhörigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender werden ausgebreitet; oder auch die Daily Soap Schneeflocken auf Sylt, deren kitschige Titelmelodie nicht nur einmal anklingt. Das ist nicht subtil oder raffiniert, aber immerhin deutlich witzig gemeint, ähnlich wie bei einer Karnevalsveranstaltung. Und wie bei einer Karnevalsveranstaltung sind die Angesprochenen über die lustig vorgetragene Kritik nicht böse, nein, man ist ja nicht verbissen, man zeigt Humor, man schmunzelt mit, wenn man auf die Schippe genommen wird. Die Jury, bestehend aus Produzent Peter Rommel, Schauspielerin Pheline Roggan und Regisseur Maximilian Erlenwein, ist dieser Witzigkeit wohl aufgesessen. Den Kontext, in dem die satirisch gemeinten Einstreusel gemeint sind, den hat sie wohl ausgeblendet.

Aber auf ihn kommt es an.

Da haben wir beispielsweise im Film eine Predigt über den Kulturbruch, der durch das Dritte Reich, durch Exil und ideologische Kunstproduktion, verschuldet wurde, und der bis heute nachwirkt. "Der Schuh des Manitu ist die Spätfolge von Auschwitz", so kommt der Film zugespitzt zum Punkt, eine Aussage, die ja durchaus diskutierenswert ist, ja, der man zustimmen könnte. Die aber im Film einer Figur in den Mund gelegt wird, die auf monströse Art schlecht ist, moralisch schlecht. Wodurch das Gesagte, das leicht erkennbar ist als eine Aussage des Autors und Regisseurs Arnstedt, falsch wird; denn ein richtiges Leben im Falschen können auch Dialogsätze nicht führen.

Der dies im Film sagt, ist Ephraim. Sein Sohn Conrad hat jahrelang ein Drehbuch geschrieben, es beim Sender eingereicht, wurde hingehalten – nun hat er den Redakteur Stuckradt Halmer entführt, um ihn zu zwingen, den Film zu machen. Das ist an sich keine uncharmante Idee, es erinnert an Die Quereinsteigerinnen, in dem Rainer Knepperges' Protagonisten den Telekomminister entführen, um die Wiedereinführung gelber Telefonzellen durchzusetzen; oder, etwas schwerere Kost, an Hans Weingartners Die fetten Jahre sind vorbei, in dem jugendliche Spaßterroristen nach einer Entführung den Ernst des Lebens kennenlernen. Die Besetzung des Redakteurs Halmer mit Jan Henrik Stahlberg, bekannt geworden etwa durch Muxmäuschenstill, ließe an sich ebenfalls freches, tief stechendes Potential zu.

Doch Arnstedt haut wie ein wildgewordener Elefant im Porzellanladen alles kaputt, was kaputt zu schlagen ist: die eigene Haltung, soweit vorhanden, verkauft er für den nächsten beliebigen Einfall, Conrad ist ein Stoffel, ein Zögerer und Zweifler, ein Naivling, der nicht weiß, was er will, der nun zur undurchdachten Verzweiflungstat greift – er ist recht offensichtlich die Sympathiefigur für Arnstedt, weil er sich gegen das öffentlich-rechtliche Kunstblockiersystem auflehnt. Zugleich aber macht sich Arnstedt auch parodistisch lustig über Conrads albernes Drehbuch, einer Liebesgeschichte zwischen einer Israelin und einem Palästinenser, das in der Synopsis, die Conrad gegenüber Halmer abliefert, ganz genau den Schmonzes verspricht, den das Erste am Filmmittwoch versendet, irgendwie politisch und gesellschaftlich relevant, aber auch unterhaltsam und auf Konsumierbarkeit bedacht. Vielleicht ist Arnstedt nichts wirklich Gutes eingefallen, wahrscheinlicher ist, dass dies tatsächlich parodistisch gedacht, aber ans falsche Objekt angebracht wurde. Halmer wiederum wird als rückgratloser Schleimer gezeigt, der allen nach dem Mund redet, ein Geseiere voller Floskeln und Unverbindlichkeiten, das prangert Arnstedt total an – vergisst aber, dass Halmer in seinem Film vor allem ein Opfer ist, ein Mensch in Todesangst, und dass der mit Floskeln und Unverbindlichkeiten, mit Geschwätz von Empathie und Ambivalenz, die in Conrads Drehbuch eingebaut werden müssten, vor allem sein Leben retten will.

Denn hier kommt das Unmoralische ins Spiel, das der Film eindeutig gutheißt: Vater Ephraim, Holocaustüberlebender, der zum gewalttätigen, psychopathischen Führer seiner degenerierten Familie geworden ist, ein jüdischer Faschist, der zuallererst Halmer mit der Zange einen Zahn zieht – von Arnstedt als Gag inszeniert –, um ihn gefügig zu machen, der einen Spaziergänger erschießt, mit dem der Gefangene Kontakt aufgenommen hat; der später Halmer zum Nachbarbauernhof führt, um den verkommenen Knecht dem Redakteur eine gepflegte Arschfick-Vergewaltigung angedeihen zu lassen. Und diesen Ephraim: den stellt Arnstedt mit seinem Film zwar nicht vollständig, aber zumindest partiell in die Ecke der Guten. Nach dem Motto: Die beim Fernsehen sind auch nicht viel besser. Was eine Menschenverachtung verrät, die für den Film unverzeihlich ist, und die sich als "herrliche politische Inkorrektness" verkleidet, was nichts anderes bedeuten soll als ein moralisches "Anything Goes". Eine Beliebigkeit der Haltungen, bei dem sich, metaphorisch gesprochen, Materie und Antimaterie derart gegenüberstehen, dass alles in die Luft fliegt.

Arnstedt merkt wohl gar nicht, auf welchen Schultern er sein als Medienkritik gemeintes Machwerk ablädt; wie falsch die Figurenkonstellation ist, über die er seine Satire präsentieren will. Es mangelt ihm ganz offensichtlich ganz immens an dem, was einen Filmemacher ausmachen sollte, an Selbstreflexion, die die Strukturierung von Aussage, Perspektive, Charakterzeichnung ermöglicht. Dafür spürt man deutlich die selbstmitleidige Larmoyanz des Autodidakten, der sich am gegebenen System der Film- und Fernsehbranche abarbeitet.

Der Film ist moralisch schlecht, weil er seine Aussage, seine Botschaft, einem Faschisten in den Mund legt. Weil er dem Zuschauer, zumal dem Medienbranchen-Insider, Häppchengags hinschmeißt, ohne zu merken, wie böse die eigentliche Ideologie ist, die der Film propagiert, der die Verhinderung möglicherweise relevanter Filmwerke mit radikaler Menschenverachtung gleichsetzt. Dass Arnstedt dies nicht merkt, dass viele Zuschauer hierüber hinwegsehen, dass so etwas auf wichtigen Filmfestivals gezeigt und mit Förderpreisen ausgezeichnet wird: Das zeigt mehr, als es Arnstedt mit seinem Kunstverstand jemals hinbekommen könnte, wie sehr die Fähigkeit zu Reflexion, zu ästhetischer und ideologischer Einschätzung gelitten hat. Braucht es einen Arnstedt-Film, um dem Publikum vor Augen zu führen, wie unermesslich schlecht ein Arnstedt-Film ist?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-kuckuck-und-der-esel