Papusza - Die Poetin der Roma

"... hurtig wie Wasser, stark und durchscheinend"

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Da wird zu Beginn der 1970er Jahre in Polen eine ältere, stille Frau, die offensichtlich wegen Diebstahl eines Huhns bereits viel zu lange einsitzt, von der Beauftragten eines Ministers aus dem Gefängnis geholt und in ein Konzerthaus zu einer Aufführung gebracht. Bereit, sich für die Veranstaltung umzuziehen, ist die dezente Dame zunächst nicht, doch als ein bärtiger alter Herr sie mit drohendem Spazierstock massiv dazu auffordert, sitzt sie schließlich in angemessener Garderobe im Zuschauerraum. Während nun ein Musikstück über die leidensvolle Geschichte der Roma in Polen aufgeführt wird, erinnert sich Bronisława Wajs zurück an jene Zeiten ihrer Vergangenheit nach dem Zweiten Weltkrieg, als der spätere Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizist Jerzy Ficowski zu ihrer Roma-Sippe stößt und sie dazu motiviert, ihrer poetischen Begabung zu folgen.
Innerhalb ihres umherziehenden Clans nimmt die knapp vierzigjährige Bronisława Wajs (Jowita Budnik), von ihrer Mutter als Kind auf Romani "Papusza" – Puppe – genannt, eine besondere Position ein, als der junge Jerzy Ficowski (Antoni Pawlicki) auf der Flucht vor den Stalinisten für einige Zeit bei ihnen untertaucht. Denn Papusza, die seit ihrer bereits im jugendlichen Alter arrangierten Heirat mit dem älteren Harfenspieler Dionizy Wajs (Zbigniew Waleryś), dessen musikalischer Familie und ihrem Sohn Tarzan (Sebastian Wesołowski) zusammenlebt, kann lesen und schreiben. Diese in ihren Kreisen ebenso seltene wie misstrauisch beäugte Fähigkeit hat sie sich als junges Mädchen (gespielt von Paloma Mirga) hart erkämpft, und diese widerborstige Liebe zur Literalität bildet auch die Basis für ihren Hang zur Poesie, der sie schließlich zur ersten offiziellen Dichterin der Roma werden lässt.

Mit epischer Ausführlichkeit und Sorgfalt hat sich das polnische Regie-Ehepaar Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze (Schuld / Dług, 1999, Saviour Square / Plac Zbawiciela, 2006) der Biographie von "Papusza" Bronisława Wajs gewidmet, die nun als historischer Spielfilm Papusza – Die Poetin der Roma in der schwarzweißen Originalfassung mit deutschen Untertiteln hierzulande in die Kinos kommt. Beginnend mit der Geburt des kleinen Mädchens um 1910 in Ostpolen, die von den Roma-Frauen mit guten Wünschen – "Mögest du auf der Erde leicht wie eine Feder wandeln" – aber auch ambivalenten Ahnungen – "Sie wird allen entweder großen Stolz oder große Schande bringen" – begrüßt wird, entsteht hier das unsentimentale, soziohistorische Porträt einer Frau, deren Dichtung und Gesang von der durch Armut, Elend und Verfolgung geprägten Geschichte ihres Volkes zeugen.

Gestaltet sich der Einstieg in die untertitelte, sich auf unterschiedlichen, wechselnden Zeitebenen erstreckende Handlung anfangs auch ein wenig schwerfällig, vermag der mitunter recht fragmentarisch erscheinende, auf starke kontrastreiche Schwarzweißbilder setzende Film allmählich doch zu fesseln. Das liegt zuvorderst an den pointierten, eindrucksvollen Impressionen der Kameraführung von Krzysztof Ptak und Wojciech Staroń, die von fern und aus der Nähe die Protagonisten innerhalb der ruralen Landschaft, ihrer ganz besonderen Sozietät und auch in ihren persönlichen Belangen und Befindlichkeiten ablichten, ohne in einen spektakulären Voyeurismus abzugleiten, sondern mit distanziertem Respekt für implizite Intimitäten. Auf diese Weise entsteht eine annähernd dokumentarische Sachlichkeit, die zudem dem vermeintlich romantischen Reiz des Themas "Roma" eine klare Absage erteilt.

Dennoch verströmt Papusza – Die Poetin der Roma mit seinem deutschen, zu Unrecht heroisch klingenden Zusatztitel einen kühlen, beizeiten kruden Charme kultureller Kontexte abseits der weithin verbreiteten Vorstellungen über das bewegte Leben dieser besonders im 20. Jahrhundert brutal verfolgten und oftmals auch heute noch marginalisierten Volksgruppe. So signifikant wie ergreifend ist die Geschichte dann, wenn Papusza sich aufgrund ihrer Affinität zur Schriftlichkeit schuldig an den gewalttätigen Repressalien gegen ihre Sippe fühlt, die männlichen Musiker im Gefängnis klangvoll und unerschütterlich gegen die polnische Polizei und Bürokratie protestieren und wenn Papusza als vermeintliche Verräterin von ihren Leuten verfemt, verachtet und verstoßen wird. In diesen Szenen offenbaren sich die Traditionen und die Tragik um eine starke Frauenfigur, der es gelang, mit ihrer Poesie und Stimme die Emotionen, das Lebensgefühl und die unwegsame Geschichte ihrer Herkunft und Daseinsform zu transportieren.

In ihren Gedichten und Schriften hat sich Papusza selbst stets als "Zigeunerin" bezeichnet und die heute als politisch korrekt erachtete Formulierung "Roma" zeitlebens abgelehnt. Ihre oft zitierte, charakterlich bedeutsame Aussage, dass sie niemals Gedichte geschrieben habe, findet auch in dieser fiktiven, eng an authentischen Begebenheiten orientierten filmischen Biographie deutlichen Ausdruck. Deren Tristesse wird gleich zu Anfang und ganz besonders intensiv am Schluss von langen, wirkungsmächtigen Einstellungen getragen und flankiert von musikalischen Klagen. Einsamkeit, Armut und Ausschluss bestimmen das Dasein der Dichterin, die sich trotz aller Diskrepanzen immer unverbrüchlich mit ihrer Sippe und ihren Brauchtümern verbunden fühlt, andere angebotene Optionen schlichtweg ausschlägt und behauptet, ohne Kenntnisse der Schrift wohl ein glücklicheres Leben hätte führen können. Dennoch unterstützte sie die polnische Ansiedlungspolitik, die zunehmend von Zwangsmaßnahmen diesbezüglich geprägt war, und wurde sogar selbst bereits 1950 sesshaft – eine Zerrissenheit, deren lyrische Ausprägungen sich in zutiefst melancholischen Versen niederschlugen.

Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze, der bedauerlicherweise kurz nach der Realisierung dieses letzten Filmprojekts verstarb, ist mit Papusza – Die Poetin der Roma ein visuell fulminantes Biopic jenseits des Mainstreams gelungen, das nicht zuletzt dazu anregt, sich mit den Gedichten dieser Ausnahmelyrikerin zu beschäftigen: "Längst entschwunden sind die Zeiten der Zigeuner, die gewandert. Ich aber seh sie, hurtig wie Wasser, stark und durchscheinend."

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/papusza-die-poetin-der-roma