Kafkas Der Bau

Gefangen im Sein

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Taschenlampen leuchten im Dunkeln, die Lichter bewegen sich suchend durch einen unterirdischen Raum, in dem sich Gerümpel angesammelt zu haben scheint. Dann wechselt die Szenerie, ein Mann (Axel Prahl) ist zu sehen, er positioniert sich sorgsam vor der aufgestellten Videokamera und sagt "Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen." Mit diesem Satz beginnt Kafkas unvollendete Erzählung Der Bau, die Jochen Freydank mit seinem Film Kafkas Der Bau adaptiert hat.
In Kafkas letzter Erzählung, die kurz vor seinem Tod 1924 entstanden ist, hat ein animalisches Wesen – womöglich ein Dachs – einen labyrinthischen Bau angelegt, in dem er seine Nahrungsvorräte versteckt hat. Doch beständig fühlt er sich von der von außen stammenden Kraft "das Tier" bedroht, deshalb kann er seine Fleischvorräte nicht genießen. Vielmehr empfindet er diese Angriffe gegen seine Sicherheitssysteme als direkt gegen seine Existenz gerichtet. Eine filmische Interpretation dieser Erzählung steht nun vor der Herausforderung, die durch den Ich-Erzähler sehr dominanten Innenperspektiven sowie die die Erzählung prägende Spannung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung filmisch umzusetzen.

In Freydanks Interpretation zieht sich Familienvater Franz (Axel Prahl) in seine Wohnung zurück, die mit mehreren Schlössern gesichert ist, außerdem ist der Eingangsbereich videobewacht. Die Wohnung befindet sich in einem roten Hochhaus, das den einzigen deutlichen Farbpunkt in der von kalten Grau- und Blautönen dominierten Welt setzt. Anfangs glaubt sich Franz sicher, doch zunehmend fühlt er sich bedroht: von seinem Nachbarn (Roeland Wiesnekker), der sich ihm gegenüber feindselig verhält; von dem Hausmeister (Josef Hader), der immer mal wieder auftaucht; und von dem Wachmann (Robert Stadlober), der eher einen der zahlreichen Obdachlosen zusammentritt anstatt auf das Haus aufzupassen. Je stärker die Bedrohungen werden, desto mehr zieht sich Franz zurück und verwahrlost seine Welt. Er verliert seine Familie und seinen Arbeitsplatz, immer mehr Obdachlose lungern im Treppenhaus herum, das rote Hochhaus zerfällt zusehends. Schließlich landet er selbst auf der Straße, besessen von dem Wunsch nach Überwachung und Sicherheit.

Es ist eine kalte, zunehmend postapokalyptisch anmutende Welt, die Freydank in seinem Film dem unterirdischen Dachsbau entgegensetzt. Die Straßen sind oft menschen- und autoleer, nur selten begegnet Franz anderen Menschen – und sollte er sie doch sehen, werden sie bis auf eine Kollegin und seine Familie als bedrohlich wahrgenommen. Somit deutet der Film Kafkas Erzählung als Geschichte einer Psychose, in die sich der Protagonist immer mehr hineinsteigert – tatsächlich ist im Pressetext eine Deutung als "Cocooning" vorgeschlagen, die Abschottung gegenüber allem von außen kommenden. Daher versinkt der Film mit zunehmendem Verlauf immer mehr in der Innenwelt des Protagonisten, für die Freydank jedoch keine anderen Bilder als zu Beginn seines Films findet. Es gibt eine Zuspitzung in der unterkühlten Ästhetik, die die Aufgabe der Verschränkung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung zugunsten ersterer erkennen lässt. Daneben erweist sich auch die Videokamera, in die Franz resp. Axel Prahl beständig seine aus Kafkas Text stammenden Sätze murmelt, als unzureichendes Mittel zur Übertragung der Innenperspektive auf die Leinwand. Dadurch wirken Sequenzen prätentiös, fügen sich Psychose und Bilder nicht zusammen. Vielmehr wäre eine stärkere Konzentration und letztlich Konsequenz in der Bildgestaltung nötig gewesen, damit die Paranoia erfahrbar wird. Deshalb ist Kafkas Der Bau vor allem der ambitionierte Versuch einer Adaption von Kafkas Erzählung, dem aber die letzte Entschlossenheit fehlt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/kafkas-der-bau