The Golden Era

Der Ort des Lebens und des Sterbens

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Ann Hui hat sich in ihrer langen und vielschichtigen Karriere oft darauf verstanden, die Folgen politischer oder gesellschaftlicher Veränderung anhand von intim beobachteten Figuren zu erzählen. Eigentlich macht sie in ihrem dreistündigen Historienepos The Golden Era nichts anders, obwohl alles eine Stufe größer ist und in eine Art spielbergsche Logik der Emotion überführt wurde. Genau in dieser Größe verliert sich der Film leider auch zu oft.
Im Zentrum der Handlung steht die berühmte chinesische Schriftstellerin Xiao Hong, die man hierzulande wohl am ehesten für ihren Roman Der Ort des Lebens und des Sterbens kennt. In sehr sauberen Bildern (im guten wie im schlechten Sinn) folgt Hui der oft leidenden Frau durch ein wenig erfülltes und viel zu kurzes Leben. Xiao Hong bietet sich deshalb so gut für die Filmemacherin aus Hongkong an, weil ihr Leben immer wieder überschattet und durchdrungen wurde von den turbulenten 1930er und 1940er Jahren in der Volksrepublik China. Jedoch haben wir es trotz des ausgefeilten Epochenlooks hier nicht mit einem klassischen Biopic zu tun.

Der Film zeigt verschiedene Abschnitte des kurzen Lebens der Schriftstellerin von ihrer Geburt 1911 in Manchuria, ihren Aufenthalt in Peking zu Beginn der 1930er Jahre und der Beginn ihrer Karriere in Harbin. Auf diesem Lebensweg begleitet die junge Frau eine Sehnsucht nach Liebe, die her zugleich mit Normalität einhergeht. Man könnte den Film als konservativ bezeichnen, aber womöglich will er sich nur auf die kleinen Schönheiten des Daseins reduzieren. Schreiben und Lieben ist schon zu viel verlangt für diese tragische Figur, die dennoch die Zeit mit ihren wenigen Schriften überdauert. Nur um die Schriften geht es dem Film kaum.

The Golden Era setzt auf eine sehr verschachtelte Erzählweise, die am ehesten an die Bob Dylan Hommage I'm Not There von Todd Haynes erinnert. Von Schauspielern verkörperte Weggefährten der Autorin erzählen in pseudo-dokumentarischen Interviewpassagen von ihre Begegnungen und Erlebnissen und machen uns damit klar, dass man keine Fakten präsentieren kann, sondern lediglich Fragmente und subjektive Eindrücke. Hinzu kommt eine ständige Datierung und Verortung des Geschehens durch Zwischentitel. Auf diese Passagen folgen Szenen, die meist zwischen dem Grauen einer (Lebens-) Geschichte und dem Begehren einer Selbstverwirklichung stattfinden.

Es ist ein wenig erstaunlich, wie schwächlich Xiao Hong hier als eine Art Marienfigur inszeniert wird. Tang Wei (Gefahr und Begierde) hat beständig Tränen in den Augen, sie bricht zusammen und ihre eigentliche Kraft, das Schreiben, wird vom Film nur am Rand thematisiert. Stattdessen fokussiert sich der Film auf eine überemotionale Auffassung von Liebe und der ewigen Suche nach dieser in einer Welt, die sie nicht zulässt. Dieses Vorgehen wiederspricht sich. Auf der einen Seite wagt man den Versuch einer alternativen Lebensbeschreibung, auf der anderen Seite gibt man sich völlig den Gesetzen der kommerziellen Illusionsmaschine hin. Enorm detailreiche Szenen- und Kostümbilder täuschen nicht über diese unfreiwiliigen Disharmonien hinweg.

Ähnliches gilt für die Perspektive auf die Geschichte und den Krieg. Ann Hui versucht sich ähnlich wie Steven Spielberg beispielsweise in Das Reich der Sonne mit einem Blick von Außen auf die Geschichte, einem Blick, der die Geschichte lediglich durch sich passieren lässt. Das ist in ihrem Fall etwas schwierig, da der emotionale Ton des Decors, des Spiels, der Musik und der Farben nicht zu der brechtianisch inspirierten Art des Erzählens passen will. Betrachtet man dagegen wie Hou Hsiao-hsien in seinen Filmen die Geschichte zu seinen Geschichten verarbeitet, sieht man wie sich Distanz nicht nur als narrative Idee, sondern als formales Gebilde aufbauen lässt.

Und so krachen große Explosionen in den eigentlich ruhigen Film. Die Kamera bewegt sich, als wolle sie uns sagen, wie viel sie gekostet hat und die ruhige Empathie des Films versinkt in einem Spektakel, das uns mit dem Holzhammer von Grausamkeit erzählen will. Stilistisch mag sich der Film nicht wirklich entscheiden. Mal spürt man ruhige Intimität, mal einen an Wong Kar-wai erinnernden Hang zur Stilisierung und mal hollywoodartiges Spektakelkino. Der zarte Humanismus scheint hier nur auf den Einfall der Japaner zu warten und gelangt dadurch nie zur Blüte. Zudem wird Xiao Hong extrem stilisiert und wie ein ewiges Bild des Leidens inszeniert statt wie eine Person aus Fleisch und Blut. The Golden Era ist sicherlich kein schlimmer Film, jedoch kommt er in einem Ton und einer Größe daher, die ihm in keiner Sekunde wirklich gut tun.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-golden-era