The Hateful Eight (2015)

Kammerspiel in Wyoming

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Ein neuer Tarantino ist immer ein Ereignis. Für The Hateful Eight gilt dies in besonderem Maße, stand das Projekt doch zunächst unter einem denkbar schlechten Stern. Nachdem im Januar 2014 das Drehbuch unautorisiert ins Netz gelangte, legte der Pulp Fiction-Schöpfer seine Vorbereitungen erbost auf Eis. Als Entschädigung fand im April desselben Jahres eine Drehbuchlesung im ausverkauften Theater des Ace Hotels in Los Angeles statt, an der mehrere Schauspieler teilnahmen. Nicht zuletzt aufgrund überschwänglicher Publikumsreaktionen änderte Tarantino seine Meinung und begann Anfang 2015 mit den Dreharbeiten zu seinem mittlerweile achten Spielfilm (sofern man die beiden Kill Bill-Teile als Einheit begreift). Ein Ereignis ist The Hateful Eight auch deshalb, weil der Regisseur sein jüngstes Werk im heute nicht mehr gebräuchlichen Ultra-Panavision-70-Breitwandformat aufnehmen ließ und eine etwas umfangreichere Roadshow-Fassung anfertigte, die aus technischen Gründen nur in wenigen Kinos gezeigt werden kann.

Ließ Tarantinos letzter Streich Django Unchained schon im Titel seine Verbeugung vor einem legendären Spaghetti-Western anklingen, spielt der Name seines neuen Films auf den eher klassischen US-Western Die glorreichen Sieben an. Grundverschieden sind dabei die verwendeten Adjektive, die eine andere inhaltliche Ausrichtung vermuten lassen. Während John Sturges von einer Gruppe von Revolvermännern erzählt, die ein mexikanisches Dorf gegen Banditen verteidigen, beschenkt uns The Hateful Eight mit rundum durchtriebenen Protagonisten, für die Ehre und Moral Fremdworte sind. Jeder ist sich selbst der Nächste. Und Allianzen werden höchstens dann geschmiedet, wenn es ums eigene Überleben geht.

Verortet ist das Geschehen einige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg im Bundesstaat Wyoming: Gemeinsam mit seiner Gefangenen Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) befindet sich der berüchtigte Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) in einer Postkutsche auf dem Weg nach Red Rock, wo er die Verbrecherin abliefern und seinen Lohn einstreichen will. Einen unerwarteten Halt muss die kleine Reisegruppe – zu ihr gehört auch der Fahrer O.B. Jackson (James Parks) – einlegen, als sie auf Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) trifft, der sich seit einiger Zeit als Kopfgeldjäger verdingt und mehrere Leichen im Schlepptau hat. Nach einem kurzen Wortgeplänkel darf der Ex-Soldat zusteigen, und die Fahrt geht weiter, bis der undurchsichtige Chris Mannix (Walton Goggins) auf der Bildfläche erscheint. Der junge Mann behauptet, der neue Sheriff von Red Rock zu sein, und kann sich ebenfalls einen Sitzplatz in der Kutsche sichern. Da kurz darauf ein gewaltiger Schneesturm aufzieht, suchen die Reisenden in Minnies Kurzwarenladen Zuflucht, in dem sich bereits vier andere Männer versammelt haben: Der Mexikaner Bob (Demián Bichir), der angeblich für die abwesende Besitzerin die Stellung hält, der Henker Oswaldo Mobray (herrlich affektiert: Tim Roth), der schweigsame Joe Gage (blass: Michael Madsen) und der frühere Südstaaten-General Sandy Smithers (Bruce Dern). Eine Gemengelage, die schnell zu handfesten Spannungen führt.

Sicher ist es nicht verkehrt, The Hateful Eight als Western zu bezeichnen. Der zeitliche Rahmen stimmt. Abgebrühte Cowboys und ehemalige Soldaten treten auf. Italo-Maestro Ennio Morricone steuert den unruhig-brodelnden Soundtrack bei, der schon die Eröffnungssequenz atmosphärisch auflädt. Und Verschlagenheit dringt aus jeder Pore der Figuren. Gleichzeitig bricht Tarantino aber auch mit festen Genreregeln, etwa indem er der Landschaft keine allzu große Bedeutung beimisst. Gleich zu Beginn fängt die Kamera beeindruckende Bilder des schneebedeckten Geländes ein. Danach spielt sich das wie üblich in Kapitel unterteilte Geschehen jedoch zumeist im beengten Raum der Postkutsche und des Kurzwarenladens ab. Selten wirft der Film einen Blick nach draußen auf den tosenden Sturm, der einzig und alleine dazu dient, fremde Menschen ohne Aussicht auf eine Fluchtmöglichkeit an einen Ort zu binden. So, wie wir es aus unzähligen Kriminalgeschichten kennen – allen voran Agatha Christies Und dann gab’s keines mehr (früher unter dem Titel Zehn kleine Negerlein verlegt).

Während die Waffen lange Zeit schweigen, werden fortlaufend Wortduelle ausgetauscht, die den für Tarantino typischen beißenden Witz erkennen lassen. Köstlich sind beispielsweise die Momente, in denen der Kultregisseur den amerikanischen Hang zur Selbstjustiz unverhohlen auf die Schippe nimmt. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass der Meister dieses Mal mit seiner Munition auf Kriegsfuß steht. Immer wieder gibt es Gespräche, die sich im Kreise drehen. Und keineswegs jede Pointe zündet so, wie es eigentlich beabsichtigt ist. Verglichen mit den raffinierten Redesalven aus Inglourious Basterds fallen die Dialoge in The Hateful Eight fast schon ein wenig enttäuschend aus. Glücklicherweise gelingt es dem kinoverrückten Filmemacher einmal mehr, seine illustren Darsteller zu ansehnlichen Leistungen anzuspornen. Angefangen bei der widerborstigen Jennifer Jason Leigh, deren Figur zwar ständig mit Schlägen traktiert wird, die aber dennoch eine seltsame Überlegenheit ausstrahlt. Als passende Besetzung erweist sich auch Kurt Russell, der John Ruth unter einem gewaltigen Schnauzbart als kernigen Pragmatiker spielt. Ein echter Segen ist Tarantinos langjähriger Weggefährte Samuel L. Jackson, der selbst die bösesten Ausführungen mit unglaublicher Coolness vorbringt.

Trotz mitreißend-amüsanter Schauspielerdarbietungen fühlt sich der Film erstaunlich unrund an. Lange Zeit passiert nicht viel. Und die Kammerspielsituation ist bei weitem nicht so spannend, wie man es vermuten könnte. Was schon erstaunen muss, da Tarantino in seinem inhaltlich verwandten Gangsterthriller Reservoir Dogs bewiesen hat, dass er Konfrontationen auf engem Raum fesselnd inszenieren kann. Anders als man es von dem Texaner gewöhnt ist, erzählt The Hateful Eight eine verhältnismäßig banale Geschichte, die durch das falsche Spiel der Protagonisten und einige Rückblenden nur unwesentlich an Komplexität gewinnt. Der ganz große Überraschungseffekt bleibt aus. Selbst dann, als die Wortduelle plötzlich heftigem Blutvergießen weichen. Von Tarantino ist man schließlich nichts anderes gewöhnt. Hier hat es allerdings den Anschein, als sollten die Gewaltexzesse im letzten Drittel für das zuvor ungewöhnlich actionarme Treiben entschädigen. Positiv gewendet, ließe sich das Schlachtfest als bitterböser Kommentar auf die Schwarz-Weiß-Muster klassischer Westernfilme lesen. Bei Tarantino bleibt niemand sauber. Alle Figuren tragen rassistische Haltungen vor sich her. Und der pure Eigennutz führt zwangsläufig ins Verderben. Andererseits wirkt der Showdown mit seinen derben Eskalationen überaus kalkuliert, weshalb sich irgendwann Ermüdungserscheinungen breitmachen und endgültig klar wird, dass man schon bessere Arbeiten des Kultregisseurs gesehen hat.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-hateful-eight-2015