Engelbecken

Gelebte Geschichte

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Engelbecken ist ein essayistisches Werk, das von einer Ost-West-Liebesbeziehung in den Jahren vor dem Mauerfall erzählt. Realisiert wurde der Film von den beiden Menschen, die diese Beziehung führten. Gamma Bak und Steffen Reck lernten sich im Herbst 1986 kennen. Bak lebte als Germanistik- und Medienwissenschafts-Studentin sowie Filmemacherin in West-Berlin; Reck war Mitglied der freien Theatergruppe "Zinnober" in Ost-Berlin.
Die große Stärke des Films liegt darin, dass er nicht auf eine pathetische Lobpreisung der Liebe und deren Macht, alle Grenzen zu überwinden, hinausläuft. Die damalige Situation von Bak und Reck wird nicht romantisiert. Vielmehr vermittelt das Duo eindrücklich, wie die DDR als diktatorisches System das individuelle Glück belastete – und wie die Überwachung sowie die daraus resultierende Unfreiheit im wahrsten Sinne des Wortes krank machen konnten. "Die war immer da, die Angst", sagt Steffen Reck an einer Stelle des Films. Er litt an einer schweren Depression und war suizidgefährdet; dennoch kam es für ihn lange Zeit nicht infrage, Ost-Berlin zu verlassen. Erst die Einberufung zur Armee-Reserve bewog ihn dazu, eine Ausreise in Erwägung zu ziehen. Mit der zwischen West- und Ost-Berlin unermüdlich hin- und herpendelnden Gamma Bak stellte er einen Antrag auf Eheschließung. "Es war nicht romantisch, es ging ums Überleben" – so Bak rückblickend.

Engelbecken – dessen Titel sich auf das Gebiet zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Kreuzberg bezieht, durch das die Mauer einst verlief – spart diverse Bestandteile eines üblichen Dokumentarfilms aus. So verzichten Bak und Reck etwa auf erklärende Elemente, wie zum Beispiel Einblendungen von Personennamen. Es geht den beiden ganz offensichtlich nicht um eine kinematografische "Geschichtsstunde", sondern um einen sehr persönlichen, assoziativen Zugang zu ihrem Sujet. Als ordnende Komponente dienen Zwischentitel, die in Schreibmaschinenschrift auf die Leinwand getippt werden. Sämtliche Titel sind Fragmente des Wortes "Engelbecken" – die "Enge", der "Engel", die "Ecken" et cetera. Darüber hinausgehende Möglichkeiten zur Orientierung werden den Zuschauer_innen bewusst verweigert. Für ein Werk, das sich der Ratlosigkeit zweier Menschen widmet, ist dies eine konsequente Entscheidung.

Die Erlebnisse des Paares in den Jahren 1986 bis 1988 (bis Reck die DDR verlassen konnte) werden im experimentellen Stil zur Anschauung gebracht. Fotografien und Bewegtbilder kommen zum Einsatz; neben Archivmaterial werden Passagen aus selbstgedrehten Filmen sowie aufgezeichneten Theateraufführungen gezeigt. Letztere bieten interessante Einblicke in die Ost-Berliner Subkultur; insbesondere die Auszüge aus dem metaphorischen "Zinnober"-Stück traum haft bleiben in Erinnerung. Aus all diesen Aufnahmen entsteht eine kunstvolle Collage, in die zudem noch spätere (Ton-)Aufzeichnungen sowie aktuelles Material verwoben wurden. Schöne Kontraste ergeben sich, wenn einerseits private Telegramme, die Bak und Reck sich gegenseitig zukommen ließen ("du fehlst mir so"), und andererseits akribische, behördliche Dokumente präsentiert werden. Vereinzelt sind Talking Heads zu sehen; überwiegend sind die interviewten Personen jedoch nur zu hören. Alles in allem ist Engelbecken eine reizvoll gestaltete, entschieden subjektive Auseinandersetzung mit einem überaus wichtigen Thema.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/engelbecken