Familie zu vermieten

Die allmähliche Verfertigung der Empfindung

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Ähm, tja, also – also würde die Vereinbarung nicht beinhalten, dass sie – also, dass sie beide … miteinander schlafen würden? In stockend-ruckender Rede tastet sich Violette Mandini an das heran, was ihr seltsamer Vertrag mit einem Multimillionär alles bedeuten könnte. Ob sie die möglichen Implikationen unheimlich, unangenehm oder begehrenswert findet, ist nicht auszumachen. Ihre Darstellerin Virginie Efira verkörpert damit perfekt die Verwirrung der Figur. Familie zu vermieten ist die x-te französische Krisen-Komödie über soziale Versöhnung. Ein reicher Mann least sich eine Arbeitslose und ihre Kinder, um Nestwärme zu spüren. Gibt es eine plattere Idee? Wohl kaum. Und eine besser ausgereizte? Auch nicht. Kleist variierend, ist die sehr allmähliche Verfertigung der Empfindung im Reden hier einfach köstlich.
Dabei sind es zunächst andere, die für die beiden unwahrscheinlichen Turteltäubchen sprechen. Oder singen. "She is a lady", insistiert Paul Anka aus dem Off, "she is a lady". Es sind ebenso ironische wie liebevolle, geradezu schützende akustische Streicheleinheiten für Violette, die auf zu hohen Schuhen, in zu kurzem engen Rock und gewagten Strumpfhosen ein Geflügel aus dem Supermarkt stehlen will. Sie kommt bis zum Wachmann. Und schlägt ihn bewusstlos.

Nach ihrem Gerichtsprozess spricht sie in die Fernsehkameras die Worte über den Wert der Familie, die ihr Anwalt ihr aufgetragen hat, um ihren Mundraub und ihre Körperverletzung zu rechtfertigen. Sie drückt genau das aus, was sich Paul-André Delalande (Benoît Poelvoorde) schon lange nicht mehr eingestanden hat: Dass ihm eine Familie fehlt! Langsam hellt sich das Gesicht des Software-Erfinders, der nach dem lukrativen Verkauf seiner Firma in Depression versank, wieder auf. Paul-André übernimmt Violettes Schulden und zahlt ihr ein Gehalt, wenn er mit ihr, ihrer Teenager-Tochter Lucie (Pauline Serieys) und ihrem kleinen Sohn Auguste (Calixte Broisin-Doutaz) leben darf. Nicht in der Villa, die findet Violette unmöglich, sondern in ihrer gemütlich ausgebauten, unaufgeräumten Gartenlaube.

Damit es keine unbequemen Fragen gibt, will Violette vorspielen, dass sie ein Paar sind. Doch Paul-André kennt die Sprache der Liebe nicht. Im Rücken ihrer Kinder stehend, deutet Violette immer wieder auf ihren Mund, macht dazu winzige Kussgeräusche. Paul-André schaut sie unverständig und stirnrunzelnd an, ohne einen Schimmer, was jetzt zu tun ist. Weil der Zuschauer selbst solche Momente nur mit Verzögerung begreift, überzeugen sie durch die Entschiedenheit, mit der die Schauspieler sie auskosten.

Wie in manchen Stücken von Marivaux, die als scheinbar unverbindliches Experiment beginnen, wird auch in Familie zu vermieten aus Spiel Ernst, schleicht sich die Stimme des Herzens leise ein. Paul-André verteidigt Violette energisch gegen das Gespött ihrer erweiterten Familie. Und deutlicher als in Worten gibt Violette mit ihrer Tonlage zu verstehen, was in ihr vorgeht, als die beiden in einem romantisch zugewachsenen Pavillon stehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/familie-zu-vermieten