Theeb

Auf den Pfaden von Lawrence von Arabien

Im Wüstenepos, mit dem der jordanische Regisseur Naji Abu Nowar sein Spielfilmdebüt gibt, wandelt ein Beduinenjunge namens Theeb (Jacir Eid) gewissermaßen auf den Pfaden von Lawrence von Arabien. Denn beide Filme spielen während des Ersten Weltkriegs, als die Briten den arabischen Aufstand gegen den gemeinsamen Gegner, das Osmanische Reich, unterstützten. 

Und wie in David Leans Klassiker geht es auch diesmal um eine gefährliche Wüstendurchquerung, die im gleichen Gebiet, dem jordanischen Wadi Rum, gedreht wurde. Aber das archaische Abenteuer erzählt vom Kampf gegen Banditen und ums Überleben konsequent aus der Perspektive des Titelcharakters. Die Coming-of-Age-Geschichte setzt der beduinischen Nomadenkultur ein Denkmal, die im Verschwinden begriffen ist. Dem Regisseur lag daran, ihre Traditionen und Bräuchen gerecht zu werden. Er machte sich in einem Beduinendorf mit den Vorstellungen des Stammes vertraut und fand in der Gegend auch seine Darsteller - lediglich Jack Fox, der einen britischen Soldaten spielt, ist vom Fach. 

Eines Abends im Jahr 1916 stoßen zwei Fremde ins Lager der Beduinenhirten. Ein britischer Soldat und sein arabischer Führer Marji (Marji Audeh) suchen einen Ortskundigen, der sie auf dem alten Pilgerpfad Richtung Mekka bis zu einem bestimmten Brunnen begleitet. Theeb schnappt wie üblich alles begierig auf, was die erwachsenen Männer tun und reden. Seit dem Tod seines Vaters, dem Beduinenscheich, passt sein älterer Bruder Hussein (Hussein Salameh) auf den Jungen auf. Nun aber soll Hussein die beiden Gäste des Stammes durch die Wüste geleiten, ein gefährlicher Trip, denn seit es die Bahnlinie gibt, tummeln sich auf der Pilgerroute mehr Gesetzlose als Reisende. Theeb folgt dem Trio heimlich und als er sich zu erkennen gibt, ist es zu spät: Hussein muss den Jungen mitnehmen, das Dorf liegt bereits zu weit zurück. Der Weg führt in eine Landschaft aus Canyons, die wie eine natürliche Falle anmutet - hinter jedem Felsen, auf jedem Steinplateau können Angreifer lauern. Und sie lassen nicht lange auf sich warten.

Theeb bedeutet Wolf. Das Symboltier hat eine Doppelnatur in den beduinischen Legenden, es wird verehrt und gefürchtet. Jemand, der diesen Namen zu Recht trägt, wird die schwierigsten Situationen meistern. Der Junge erlebt den realen Hintergrund der ungeschriebenen Gesetze der Beduinen: Gastfreundschaft und Zweckgemeinschaften sind notwendig, um in der Wüste zu überleben. Manchmal bringen sie einen Mann in ein schweres moralisches Dilemma und sein Ansehen wird davon abhängen, wie er die Situation löst. Theeb paktiert notgedrungen mit einem Feind (Hassan Mutlag) und verliert seine kindliche Unschuld. Der kleine Wuschelkopf Jacir Eid spielt Theeb mit natürlichem Charisma, der lebhaften Neugier eines Lernenden, der eine dramatische Entwicklung durchläuft. 

Die monumentalen Bilder, die der Kameramann Wolfgang Thaler im Wadi Rum aufnimmt, zelebrieren die mythische Kraft des Kinos. Die Wüste, die kahlen Berge, die engen Canyons mit ihrem Spiel von Licht und Schatten sind ein Gebiet wie aus einem Western, das von der menschlichen Zivilisation nicht erobert ist. Hier können Individuen noch Helden sein, ihre eigenen Gesetze machen. Die Natur verhält sich indifferent und es gibt einen Moment, in dem Theebs Einsamkeit so existenziell wird wie für den verunglückten Bergsteiger in 127 Hours. Aber Naji Abu Nowar hat bei aller Spannung, die das Abenteuer entfaltet, auch ein Interesse an Poesie. Die ausdrucksstarke, aber sparsam eingesetzte Filmmusik greift die Lieder der Beduinen auf und der Sternenhimmel spendet Theeb Geborgenheit, indem er den Weg zu weisen vermag.

Ein neues Zeitalter bricht an, die Eisenbahn rückt am Schluss ins Bild, die Pfadfinder mit ihren Kamelen werden vom Lauf der Dinge abgehängt. Theebs späte Entdeckungsreise aber geht den gegenteiligen Weg: Die Beduinen betrachteten das Filmprojekt dem Regisseur zufolge als eine Möglichkeit, ihr kulturelles Erbe für die sesshaft gewordenen Nachfahren zu sichern. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/theeb