Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne

Kunstvolle falsche Töne

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Xavier Giannoli ist bekannt für seine französischen Komödien, daher möchte man auf den ersten Blick meinen, dass Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne nichts anderes ist, als eine typische Arthouse-Komödie, die in Deutschland gerne im Kino gesehen wird. Leichte, lustige Kost eben, mit der man nichts falsch machen kann. Doch jetzt kommt Gott sei Dank ein "aber". Ganz so generisch ist der Film dann doch nicht. Im Gegenteil. Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne überrascht auf ganzer Linie.
Die Geschichte des Filmes basiert auf der legendären Florence Foster Jenkins, wurde aber nach Frankreich verlagert und leicht verändert. Marguerite (Catherine Frot) ist eine verheiratete Frau, eine unglücklich verheiratete sollte man dazu sagen. Ihr Mann Georges (André Marcon) arbeitet ständig und hält nicht viel von seiner Frau. Er kann und will sie aber auch nicht verlassen, da Marguerite steinreich ist. Sie wohnen in einem riesigen Haus mit Butler Madelbos (Denis Mpunga) und vielen anderen Bediensteten. Einen Beruf hat Marguerite nicht, aber eine große Berufung: sie liebt die Oper. So sehr, dass sie seit Jahren trainiert, eine Opernsängerin zu sein. Außerdem gibt sie Konzerte in ihrem Haus. Zu solch einem Konzert lädt sich der Reporter Lucien Beaumont (Sylvain Dieuaide) ein, der dort der jungen Sängerin Hazel (Christa Théret) begegnet.

Nach ihrem Auftritt ist Marguerite an der Reihe. Mit einem wunderschönen Kleid und einer Pfauenfeder betritt sie die kleine Bühne und singt "Die Königin der Nacht" – in den schlimmsten und schiefsten Tönen, die je ein Mensch produziert hat. Marguerite kann weder Töne halten noch das Tempo, den Rhythmus oder die Intonation. Kurzum, diese Frau kann nicht singen, selbst wenn ihr Leben davon abhinge. Und so amüsiert sich die hochfeine Gesellschaft. Aber nur im Nebenzimmer. Vor Marguerite selbst gibt niemand zu, dass sie schlecht ist. Im Gegenteil, dieses offene Geheimnis wird regelrecht konspirativ vor ihr geheim gehalten. Jeder erzählt ihr, wie gut sie sei. Der Butler bestellt nach dem Auftritt Blumen von ihren "Verehrern", der Ehemann gratuliert, die Angestellten schweigen. Marguerite selbst ist nicht bewusst, wie es um ihr Talent steht. Nachdem Lucien aber einen ironischen Artikel über sie schreibt, den sie als Lobpreisung versteht, beschließt sie, vor richtigem Publikum singen zu wollen und besorgt sich sogar einen Gesangslehrer, der ihr dabei helfen soll. Und obwohl alle Beteiligten wissen, was für eine Katastrophe dieser Auftritt werden wird, sagt niemand etwas.

Warum? Weil sie alle das Geheimnis schon so lange behalten haben, dass sie sich schämen. Der Hauptgrund aber ist Geld. Ob ihr Ehemann, ihr Butler, ihre so genannten Freunde und Bekannten, ob Julien oder Hazel, sie alle wollen etwas von Marguerites Reichtum abhaben. Und Marguerite gibt gern. Außerdem ist es auch noch komplizierter – und genau darin besteht die Stärke des Filmes. Man hätte aus der Geschichte eine lustige Tragikomödie machen können, doch Giannoli spielt mit Komplexitäten, Verstrickungen und den vielen emotionalen Ebenen wie ein Meister. Selbst nach Verlassen des Kinos weiß man nicht ganz, was man von Marguerite und ihrer Geschichte halten soll. Allein ihr Charakter — wie soll man sie beschreiben? Wie soll man sie einschätzen? Ist sie eine verwöhnte Frau, die einfach ignoriert, dass man sich nicht alles kaufen kann? Oder ist sie wirklich so naiv, dass sie nicht bemerkt, dass sie kein Talent hat? Genau sagen kann man es nicht. Was sie aber zur tragischen Heldin macht, ist ihr unerschütterlicher Glauben, ihre unendliche Liebe zur Musik als Kunst. Und die Kunst steht über allem. Gleichsam ist sie das einzige, was Marguerite ihr Eigen nennen kann. Denn obwohl sie so viel Geld hat, gehört ihr fast nichts von Wert. Sie ist eine einsame Frau, die sich nach Liebe und Aufmerksamkeit sehnt. Aber nicht nur sie ist eine hochkomplexe Figur, auch ihr Ehemann, der sie betrügt und für ein Monster hält, ändert sich im Laufe des Filmes. Bald sieht man, dass er sie liebt, jedoch nicht weiß, wie er ihr es zeigen soll. Auch er ist gefangen in der großen Lüge, die er gar nicht mehr aufzulösen weiß, ohne seiner Frau das Herz zu brechen.

So nimmt die Tragik ihren bittersüßen Lauf, stets begleitet von humorvollen Momenten. Giannoli hält die Ambivalenzen in sicherer Hand und achtet stets darauf, dass seine Protagonistin niemals ihre Menschenwürde verliert. Das muss man ihm hoch anerkennen. Es wäre so einfach gewesen, diese Geschichte auszuschlachten und Marguerite (bzw. Florence Foster Jenkins) posthum noch einmal auszuschlachten. Für ein paar gute Witze und einen Haufen Geld.

Zudem erzeugt dieser Film Nachgedanken. In einer Zeit, in der jedes Missgeschick im Internet landen und dort nicht nur "viral" werden, sondern auf ewig fortleben kann, ist dieser Film eine gute Intervention. Ob er es intendiert hat oder nicht: Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne macht, dass man inne hält, bevor man sich über andere lustig macht, bevor man sie potentiell mit Gehässigkeit zerstört. Und: Wann haben wir eigentlich das letzte Mal mit größter Inbrunst und bedingungsloser Liebe ein Ziel verfolgt?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/madame-marguerite-oder-die-kunst-der-schiefen-toene