Birds and People - Ganz verrückt auf Vögel

Alle Vögel sind schon da

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Fliegen – Urtraum der Menschheit! Als kleinen, gefiederten Ersatz nimmt sich der Mensch oft genug den Vogel her: dieses geheimnisvolle Wesen, das man viel öfter hört als sieht. Wissenschaftler, Hobbyliebhaber, Naturschützer und Tierfreunde haben einen Narren gefressen an Piepmätzen aller Art; und Hans-Jürgen Zimmermann, seit Jahrzehnten eine Kapazität im deutschen Tierfilmerbereich, bringt nun in Birds and People einen ganz neuen Aspekt in das weite Feld der Naturdokus: Er beobachtet nicht die heimische Tierwelt, sondern heimische Menschen, die die Tierwelt beobachten.
Brut-, Zug-, Flugbeobachtung; zählen, zeichnen, katalogisieren; Pflege und Hilfe; erforschen, beringen, durchdringen; und, ja: Freundschaften schließen – Vogelfreunde aller Art haben alle möglichen Aspekte dieses Hobbys zu einer erstaunlichen Vielfalt entwickelt. Von den Anfängen berichtet Zimmermann nun ebenso wie von der tüftlerischen Gegenwart: Johann Friedrich Naumann und Christian Ludwig Brehm – Vater von Alfred "Thierleben" Brehm – stehen im 19. Jahrhundert Pate für die moderne Ornithologie, sie beobachteten, sie zeichneten, sie klassifizierten. Lina Hähnle organisierte Anfang des 20. Jahrhunderts den Vogelschutz – der Naturschutzbund Nabu ging daraus hervor.

Und heute? Heute bauen findige Vogelfreunde Kameraverstecke, die an einem Seilzug bis ganz hoch ins Nest des Roten Milans gehievt werden, zur getarnten Bespitzelung der Kinderstube. Nahe Frankfurt lebt ein Experte für Mauersegler, der seinen Dachboden zum Mehrfamilienhaus für seine fliegenden Lieblinge umgebaut hat. Wenn er nicht auf allen Vieren kriechend seine Kolonie beobachtet, dann erforscht er, wie die Geschlechter der Mauersegler anhand ihres Schreis auseinandergehalten werden können. In einer alten, ohnehin von diversem Tiervolk bewohnten Mühle hat sich ein Schwarzstorch mit dem Besitzer angefreundet, und ein Vogelstimmenimitator bietet launige Rundgänge durch den Wald an. Waldrapps werden ausgewildert, ein Habicht sichert das Flugfeld, um Vogelschlag zu verhindern, ein Künstler hat sich auf Vogelporträts spezialisiert und ein junger Mann ist Pionier des Öko-Technos: elektronisch geloopte Vogellaute sind die Grundlage seines Beats.

Es ist eine wunderliche Welt, in die der Film eindringt, voller verrückter Typen, die alle einen Vogel haben – und das Tolle ist, dass der Film all das Bizarre, das obsessiv Hobbyfixierte, all diese unwichtigen Wichtigkeiten völlig ernst nimmt. Breiten Raum nimmt Prof. Dr. Peter Berthold ein, der genauso aussieht, wie man sich einen gestandenen Ornithologen vorstellt, und der vehement für die Ganzjahresfütterung der Vogelwelt plädiert. Im Pfälzer Wald bewacht der Nabu mit eigens abgestellten Helfern die Wanderfalkennester in Kletterfelsen, auf der Nordseeinsel Trischen wird jährlich ein Vogelwart abgestellt. Die Vögel – sie sind das Symbol für eine heile Natur, an ihnen lässt sich der Raubbau sinnlich erfahren und ihnen kann man auf einfache, aber effektive Art helfen. Ein Meisenknödel genügt.

Soziologische Fragen – etwa, ob dieses permanente Beobachten und Katalogisieren etwas typisch Deutsches sei, ob das Wissen um jeden Flügelschlag irgendwo der biologischen Wissenschaft etwas nütze, ob die Hinwendung zum niedlichen Vogel nicht vielleicht weniger niedliche Grashüpfer oder irgendwelche hässlichen Nachtfalter vernachlässigt (so diese nicht als Vogelnahrung dienen) oder ob dabei vielleicht irgendwelche freudianischen Ersatzhandlungen irgendwas kompensieren – kurz: Fragen, die man sich darüber hinaus stellen könnte, wenn man Lust dazu hätte, geht Zimmermann überhaupt nicht an. Schmälert das den Film? Nein. So, wie er angelegt ist, tut ihm die Konzentration auf das Eigentliche nur gut. L'art pour l'art – jeder Vogel für sich, jeder Ornithologe für sein ein und alles. Das ist eine schöne, ruhige, geordnete Welt, die der Film zeigt – eine Welt, wie man sie sich wünscht, eine Welt, wie der Film sie ein Stückweit herstellt für den Betrachter. In all diesen Episoden all diese wunderlichen Vogelfreunde: Wie sie lustig sind, wie flink und froh sie sich regen! So lustig wollen wir auch sein, und zwar feldaus, feldein, das ganze frohe, heile, segensreiche Leben lang.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/birds-and-people-ganz-verrueckt-auf-voegel