Chantal im Märchenland (2024)

Alte Witze, jetzt mit Gendersternchen

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Es war einmal eine Prinzessin, die wollte sich mit ihrem Märchen nicht zufriedengeben. Chantal – aufgewacht als Dornröschen – wehrte sich gegen ihren Fluch. Der Kuss ihres Traumprinzen sollte sie nicht wecken. Viel wichtiger war ihr, endlich eine große Influencer zu werden. Die feministische Arbeit im Märchenland wurde dabei fein säuberlich in Instagram-Kacheln verpackt.

Mit Chantal im Märchenland, dieser Auskopplung der Fack ju Göhte-Reihe, bekommt die „bildungsferne“ Chantal, wie sie der erste Teil der Filmreihe nennt, ihren eigenen quietschbunten Film. Zwischen pastellenen Plastikschlössern, riesigen Cocktails und dem typischen deutschen Schauspiel-Ensemble präsentiert Regisseur Bora Dagtekin ein Potpourri aus klassischen Märchen, von Aladin bis Hänsel und Gretel. Sowohl Chantal als auch der Film selbst wollen aufklären, und so begeben sich beide auf ihre feministische Mission. Der Film erhebt dabei den Zeigefinger so hoch, dass er klopfend auf der Schulter landet. 

Chantal im Märchenland möchte ein neues Kapitel aufschlagen und sich gleichzeitig vom alten distanzieren. Ist der Film die Waffe am Kopf der deutschen Komödie, die er verspricht, zu sein? Zu Beginn muss festgestellt werden: Der alte Humor, der nach unten tritt anstelle nach oben, ist lediglich in neue Kleider gepackt worden – man steht nun aber etwas mehr auf der richtigen Seite der Geschichte. Dies deckt sich mit Jella Haases Interview mit der „Zeit“, in dem sie sagte: „Manche Witze gehen einfach nicht mehr.“ Und sie hat Recht; der derbe Humor, den man aus Filmen wie Klassentreffen 1.0 (2018), aber auch Fack ju Göhte (2013) kennt, ist aus der Zeit gefallen (und war es auch damals schon). Postmodern versieht man nun dieselben Witze mit einem Gender-Sternchen: Humor, der nicht neu aufbereitet, sondern sich über sich selbst lustig macht – als wäre das nicht mal ein Witz gewesen. Im Kino gab es selbst von der Zielgruppe nur verhaltenes Gelächter. 

Zwischenzeitlich entwickelt sich der Film beinahe zu einer Genre-Geschichte, die auch besser funktioniert als zum Beispiel der plakative Damsel (2024). In beiden Filmen müssen die Frauen gegen patriarchale Drachen kämpfen. In Damsel mit Schwert, in Chantal im Märchenland mit dem neuesten Samsung-Modell. Chantal wird begleitet von ihrem Sidekick Zeynep (Gizem Emre). Beide Frauen versprechen in ihrem Unsichermachen der Märchenwelt eine Revolte. Kurzzeitig kommen tatsächlich Hoffnungen auf, eine ähnliche Radikalität wie im Klassiker Tausendschönchen (1966) von Věra Chytilová würde entstehen. In diesem feministischen Meisterwerk zerlegen zwei Frauen jegliche Ordnung im spielerischen Kampf. Sowohl filmisch als auch inhaltlich findet man dort totale Anarchie. Sie nehmen sich, was sie wollen.

Chantal im Märchenland könnte wie Tausendschönchen sein, denn die Neubefragung von Literatur (in diesem Fall Märchen) wäre letztendlich nichts anderes als ideologiekritische Arbeit, die Lesarten umkehrt und versteckte Tendenzen aufdeckt. Der Film liegt richtig mit seiner Analyse, dass Märchen meist vor Misogynie triefen - doch er hält sein Versprechen nicht. Zeynep wird ab der Hälfte außerhalb des Bildes geparkt und kehrt erst zum großen Finale zurück. So verbringt der Film mehr Zeit mit den möglichen (oder unmöglichen) Liebschaften von Chantal.

Was wir dann letztendlich im Film, ebenso im Duktus der Pointierung, vorfinden, ist ein großer Verpackungsschwindel. Wer wirklich glaubt, es wäre großer Feminismus, zu betonen, dass Frauen auch begehren oder gegen einen Mann im Kampf gewinnen können, hat noch einiges nachzuholen. Hierin liegt die wahre Natur des Filmes: Er macht Altbekanntes konsumierbar für eine jetzt kritischere Gesellschaft. Chantal reitet wortwörtlich auf einem hohen Ross, denn wer von den lapidaren Aphorismen über Gleichstellung begeistert ist, lebt wirklich im Märchenland. In den überspitzt hohlen Bewohner*innen der Märchenschlösser sieht der Film seine Kern-Zuschauerschaft.

Chantal allerdings liefert auch einige interessante Interaktionen mit dieser „alten Welt“. Sie ist dabei wie eine Lacan'sche Törin, die durch ihre Naivität im sokratischen Dialog die Welt durch Nachfragen zu verändern vermag. Doch ganz ehrlich: Das künstlich dumme Angeschmiege an „bildungsferne Sprache“ (um noch einmal Fack ju Göhte zu zitieren), mit einer Portion Best-of Jugendwörter, ist kaum auszuhalten und trivialisiert eine Generation. Zwar ist Kulturpessimismus angebracht, jedoch sollte der eher auf höherem Niveau stattfinden als das, was er kritisiert. Letztendlich trägt Jella Haase diesen Film auf ihren Schultern. Ist man schon nach dem Trailer von der Sprechweise genervt, empfiehlt es sich, zu Hause zu bleiben und 114 Minuten zu sparen.

Chantal Im Märchenland hat seine Momente, nicht zuletzt die Performance von Nora Tschirner als klischierte Hexe kippt den Film vollends ins Camp. Der Film ist jedoch absolut symptomatisch für eine Welt im Wandel. Auch die Pointen werden nicht wie Wein, sondern wie Milch altern. In einigen Jahren werden die Witze nur noch sauer aufstoßen – in der Gesichtslosigkeit zwischen Assimilierung und Abstoß des Zeitgeistes. Alte Witze, jetzt mit Gendersternchen. Und die Moral von der Geschicht: Chantal im Märchenland ist sicher keine Schreckschusspistole, doch eine scharfe Waffe gegen den alten Puls der Komödie ist der Film sicher nicht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/chantal-im-maerchenland-2024