Francofonia

Gehemmtes Bilderessay

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Wir erinnern uns: In Russian Arc hat Regisseur Alexander Sokurov der Eremitage ein Denkmal gesetzt. Lange vor Sebastian Schippers One-Take Victoria nahm der Russe die Kamera und glitt mit ihr 90 Minuten lang ohne einen Schnitt durch die Räume des Museums. In den Räumen selbst begann die eigentliche Zeitreise. Uns begegneten alle bisherigen Gäste der altehrwürdigen Hallen. Und so schaffte es Sokurov, ein Autoporträt eines Gebäudes zu zeichnen.
Seine Liebe zur klassischen Kunst und zu musealen Gebäuden gipfelt nun in Francofonia, ein wildes cine-essay, das sicherlich der ein oder anderen weiteren Sichtung bedarf, um komplett hinter die komplexe Struktur zu steigen. In vielen unterschiedlichen doku-fiktiven Ebenen nähert sich der Russe Sokurov dem Schicksal des Louvres während des Zweiten Weltkrieges. Zunächst sieht man ihn selbst in seinem Arbeitszimmer. Er ist es auch, der den melancholisch-schwerfälligen Off-Kommentar spricht, der zum Schutz der Kunst vor jedweder Barbarei aufruft. Dann mischen sich in einer sehr anregenden Montage Dokumentaraufnahmen von den Nationalsozialisten, die den Louvre im Sommer 1940 besetzten, mit nachgestellten Szenen, die die Verhandlungen über die Zukunft des Museums während der deutschen Besetzung vertiefen. Im Kern konzentriert sich Sokurov dabei auf zwei Männer. Zum einen auf den damaligen Leiter des Louvre Jacques Jaujard und zum anderen auf den deutschen Wehrmachtssoldaten Graf Franz von Wolff-Metternich, der für den "Kulturschutz" zuständig war.

Es ist genau diese Ebene, die den Film problematisch macht. In Francofonia wirken die deutschen Nationalsozialisten als Kulturkenner und -bewahrer. Kaum ein Wort vom Plündern und Zerstören der deutschen Truppen. "Die deutschen Soldaten hatten zwar Uniformen an. Darunter waren aber auch Historiker und Kunstliebhaber", heißt es einmal im Film. Sokurov nimmt, ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt, eine zweifelhafte Position ein: Er ist auf der Seite der musealen Kunst. Und jeder, der sie zu schätzen weiß, steht in seiner Gunst. Egal, ob Nazi oder nicht. Hier kann der dicht montierte Film keine Distanz schaffen, da er in der Fülle des Materials untergeht. Am eindrücklichsten bleiben hingegen jene Szenen im Gedächtnis, die Marianne oder Napoleon im Louvre zeigen, die sich über den Zustand der Welt den Kopf kratzen. Oder Sokurovs – nicht weiter ausgeführte – Feststellung, dass die europäische Porträtmalerei in der Weltkultur einen einmaligen Platz genießt. In diesen Momenten rückt die problematische Auseinandersetzung mit dem Louvre 1940 in den Hintergrund.

Francofonia ist ein Film, den man sich am besten wie einen Airbus vorstellt, der auf der Startbahn beschleunigt, aber nie abhebt. Etwas drückt diesen wilden Bilderessay immer wieder zurück an den Boden (der Tatsachen?). Vielleicht ist es einfach Sokurovs konservatives Kunstverständnis, das nur europäische und museale Kunst rechtfertigt. Darin schleicht sich auch ein Protektionismus ein, der in der heutigen Flüchtlingskrise veraltet und überholt wirkt. Schließlich war die europäische Kunst immer dann am spannendesten, wenn sie sich offen für Einflüsse von außen zeigen konnte. Gaugin, Picasso oder Miro erreichten so ihre Hochphasen. Doch aus irgendeinem komischen Grund will Sokurov das nicht wahrhaben – und deshalb hebt sein Film nicht ab.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/francofonia