Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg (2023)

Hamburgs Miniaturen auf der großen Leinwand

Eine Filmkritik von Lukas Hoffmann

Das Miniatur Wunderland ist, neben der Reeperbahn, die bedeutendste Attraktion in Hamburg. Seit 2001 können hier inmitten der Speicherstadt detailverliebte Miniaturwelten voller Geschichten, technischer Spielereien und Ortschaften verschiedenster Kulturen beobachtet werden. Auf mittlerweile 1.610 Quadratmetern haben die Zwillinge Frederik und Gerrit Braun, gemeinsam mit ihren über 350 Angestellten, eine einmalige Ausstellung geschaffen, die mehr ist als nur eine exzessiv erweiterte Modelleisenbahn. Im Maßstab H0 (1:87) werden Orte wie Venedig, Rio de Janeiro, Skandinavien oder das fiktive Knuffingen mit all ihren baulichen, strukturellen sowie kulturellen Eigenheiten abgebildet. So zieht das Wunderland jährlich über 1,5 Millionen Besucher*innen nach Hamburg, die sich in den riesigen kleinen Welten verlieren können.

Mit Wunderland – Vom Kindheitstraum zum Welterfolg versucht Regisseurin Sabine Howe, diesen Zauber auf der Kinoleinwand einzufangen, scheitert dabei aber leider an der selbst auferlegten Zweigleisigkeit ihrer Erzählung: Auf der einen Seite stehen wunderschöne und noch nie dagewesene Detailaufnahmen aus dem Wunderland, auf der anderen belanglose Talking-Heads-Interviews und zerstückelte Behind-the-Scenes Aufnahmen.

Im Cinemascope-Format und mit atemberaubender Ausleuchtung führen die Detailaufnahmen durch die verschiedenen Bereiche des Wunderlands, zeigen einzelne Geschichten sowie Automatismen und stellen kleinste Details in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Geführt werden diese Kamerafahrten durch kleine CGI-Versionen der Zwillinge Braun, die mit kindlicher Neugier das Wunderland entdecken. Nötig gewesen wären diese zwar nicht, da jede noch so kleine Ecke der nachgebauten Welten ohnehin schon voller Details steckt, durch ihre Stilisierung als Miniaturfiguren sind sie aber nie invasiv oder störend. Einzig das Tempo der einzelnen Kamerafahrten und der aufeinanderfolgenden Szenen ist ein wenig zu hoch, um die Miniaturlandschaften in ihrer Gänze auf sich wirken lassen zu können. Nichtsdestotrotz sind diese Cinemascope Aufnahmen das Herzstück der Dokumentation und zweifelsfrei eine gute Möglichkeit, die Magie des Wunderlands zu erleben, ohne selbst nach Hamburg zu reisen.

Leider stehen sie im Schatten einer unstrukturierten Erzählung und nur seichter Einblicken hinter die Kulissen des Wunderlands durch die Interviewten. Über die Laufzeit von 89 Minuten wird nämlich nichts Interessantes über die Entstehungsgeschichte oder den Bau einzelner Bereiche erzählt. Nachdem Frederik und Gerrit als Kinder mit Miniaturen spielen, folgt gleich ein erzählerischer Sprung zur Gründung des Ausstellungsprojekts. Fragen zum Startkapital der Zwillinge, den Räumlichkeiten in der Hamburger Speicherstadt oder der Expansion des Wunderlands werden nur nebensächlich oder überhaupt nicht gestellt. Das ist besonders deswegen so schade, weil der Social-Media Auftritt des Wunderlands, insbesondere der YouTube-Kanal, schon seit mehreren Jahren so detaillierte und persönliche Blicke hinter die Kulissen gewährt. Die meisten Geschichten und Einblicke wirken daher redundant und sind durch die zeitliche Limitation nur sehr oberflächlich. Während die Akteure, besonders Gerrit und Frederik, in ihrem Social-Media Auftritt immer sehr persönlich und nahbar auftreten, wirken sie in Sabine Howes Dokumentation nahezu narzisstisch und elitär. 

Nicht nur die Wahl der filmischen Mittel ist zweigleisig, auch die Erzählung ist inhaltlich zweigeteilt. Neben der Entstehungsgeschichte des Wunderlands – „vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ – wird ebenfalls die Zusammenarbeit mit der südamerikanischen Familie Martinez am Bereich Rio de Janeiro thematisiert. Dabei entsteht allerdings zu keinem Zeitpunkt ein roter Faden. Immer wieder springt die Erzählung zwischen den beiden Handlungssträngen hin und her, ohne eine der beiden Geschichten in der nötigen Ausführlichkeit zu beleuchten. Die Familie Martinez wurde zudem nicht untertitelt, sondern durchgehend in deutscher Sprache synchronisiert, wodurch mögliche sympathische Eigenheiten der Südamerikaner verloren gehen. Noch deutlich störender ist aber die musikalische Untermalung von Jens Langbein, welche die gesamte Dokumentation emotional aufladen will: Nahezu jede Einstellung ist mit dramatischer und teils unnötig melancholischer Musik unterlegt, die nicht nur eine vom Inhalt abweichende Stimmung erzeugt, sondern zugleich verhindert, dass die atemberaubenden Aufnahmen der Miniaturen ihre kindliche Verspieltheit entfalten können.

Wunderland – Vom Kindheitstraum zum Welterfolg ist vor allem deswegen enttäuschend, weil sie dem Wunderland als Ausstellung und dem komplexen technischen Unterbau, der die Illusion dieser kleinen Welt überhaupt erst möglich macht, zu keinem Zeitpunkt gerecht wird. Einzig die wunderschönen Nahaufnahmen einzelner Bereiche sind in der Lage, einen Kinobesuch zu rechtfertigen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wunderland-vom-kindheitstraum-zum-welterfolg-2023