Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück

Terror mit System

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Colonia Dignidad, übersetzt Kolonie der Würde, hieß das Sektenlager, das der deutsche Laienprediger Paul Schäfer 1961 knapp 400 Kilometer südlich von Santiago de Chile gründete, nachdem er wegen Missbrauchsvorwürfen aus seiner Heimat geflohen war. Fortan baute der eifrige Seelenfänger eine Gemeinschaft auf, die sich nach außen wohltätig und anständig gab, in Wahrheit aber brutale Unterdrückung institutionalisierte. Männer und Frauen durften nur getrennt voneinander leben. Kinder wurden ihren Eltern entrissen. Regelmäßig verging sich Schäfer an kleinen Jungen. Prügelstrafen und Zwangsarbeit waren an der Tagesordnung. Und nach der Machtergreifung durch Augusto Pinochet arbeiteten die Colonia-Oberen mit den Schergen des chilenischen Diktators zusammen, die auf dem Areal der Auswanderer Regimegegner foltern und verschwinden ließen.

Ein finsteres Kapitel in der deutschen Nachkriegsgeschichte, das selbst heute, elf Jahre nach der Verhaftung Schäfers (er starb 2010 im Gefängnis), auf eine umfassende Aufarbeitung wartet. Löblich ist es daher allemal, dass Florian Gallenberger, der zuletzt mit dem Historiendrama John Rabe im Kino zu sehen war, das hochgradig brisante Thema in einem international besetzten Spielfilm in den Blick nimmt und so ein größeres Publikum auf den Schrecken der Sekte aufmerksam machen will. Gute Absichten allein garantieren aber noch lange keine rundum überzeugende Regiearbeit, wie das romantisch gefärbte Thriller-Drama Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück beweist.

Die Handlung setzt ein im Herbst 1973: Nachdem die Lufthansa-Stewardess Lena (Emma Watson) in Santiago de Chile gelandet ist, trifft sie ihren Freund Daniel (Daniel Brühl) wieder, der als Fotograf seit einigen Monaten in der chilenischen Hauptstadt lebt und für die sozialistische Regierung auf die Straße geht. Als General Pinochet den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende mit einem Militärputsch aus dem Amt drängt, findet sich das deutsche Pärchen plötzlich in den Fängen des Geheimdienstes wieder. Daniel wird verschleppt. Und Lena setzt von nun an alles daran, ihren verschwundenen Freund zu finden. Wie es scheint, wurde der junge Mann in die Colonia Dignidad entführt, wo politische Gefangene Folter und Verhöre über sich ergehen lassen müssen. Um Licht ins Dunkel zu bringen, tritt die Stewardess der vermeintlich religiösen Gemeinschaft bei und erlebt nur kurze Zeit später die Hölle auf Erden.

Schon der Einstieg lässt erahnen, dass Gallenberger nicht vor plakativen Mitteln zurückschreckt. Die Beziehung zwischen Lena und Daniel und ihr stürmisches Wiedersehen in Santiago werden in leuchtend-helle Bilder getaucht und mit programmatischen Musikstücken unterlegt – etwa "Samba Pa Ti" und "Ain’t No Sunshine". Songs, die ganz gezielt den Geist der 1970er Jahre heraufbeschwören sollen. Dass Emma Watson und Daniel Brühl, wie mancherorts behauptet wurde, ein unglaubwürdiges Paar abgeben, lässt sich beim Anblick ihrer ausgelassenen Neckereien nicht bestätigen.

Unangenehm stößt vielmehr auf, dass der Film recht früh damit beginnt, die historischen und politischen Hintergründe oberflächlich abzuarbeiten. Daniels Gesinnung, sein Antrieb, Allende zu unterstützen, und die explosive Stimmung, die in Chile vorherrscht, werden lediglich angerissen. Und mit einem Telefonanruf brechen auch schon die drastischen Konsequenzen des Putsches über die fiktiven Protagonisten herein. Etwas mehr Zeit hätten sich Gallenberger und Koautor Torsten Wenzel bei der Etablierung ihrer Geschichte durchaus nehmen dürfen.

Hat die Handlung einmal Fahrt aufgenommen und die verzweifelte Lena das Sektenlager erreicht, offenbart sich ein weiterer Knackpunkt des Drehbuchs, das reale Geschehnisse für einen nervenaufreibenden Thriller nutzbar machen will. Die Unterdrückung und Ausbeutung der Colonia-Bewohner vermitteln sich in Szenen aus dem harten Arbeitsalltag. Und die seelischen und körperlichen Qualen werden vor allem im Rahmen der sogenannten Herrenabende spürbar, bei denen Paul Schäfer (Michael Nyqvist) einzelne Mitglieder vor einer grölenden Männermeute an den Pranger stellt. Terror und Schrecken lauern hinter jeder Ecke. Doch richtig nahe kommen wir dem Leid der deutschen Siedler nicht, da es der Blick einer Außenstehenden ist, der den Film bestimmt. Sexuelle Vergehen und die Kollaboration mit Diktator Pinochet deutet Colonia Dignidad mehrfach an. Wichtiger ist den Machern aber die Rettungsmission, die Lena überhaupt erst in den Kreis der Sekte führt.

Bestes Beispiel der Verknappungen ist die Figur des Lagergründers, den Michael Nyqvist vom ersten Auftritt an als finsteren Widerling verkörpert. Schäfer ist ein Teufel in Menschengestalt mit furchteinflößender Aura, durch den nach eigener Aussage die Stimme Gottes spricht. Wie seine Herrschaft im Detail funktioniert, und was die Auswanderer angetrieben hat, seinem Ruf zu folgen, erfahren wir jedoch nicht. Hier greift der Film definitiv zu kurz, da auch ein tyrannischer Sektenchef, zumindest in Ansätzen, über ein einnehmendes Charisma verfügen muss. In Nyqvists Darstellung dagegen bleibt Schäfer die meiste Zeit eine klischierte Schurkenfigur, die in erster Linie den Genreregeln folgt.

Verwässert werden die bedrückenden Schilderungen vom Lagerleben endgültig im dritten Akt, der auf geschickte Weise Spannung erzeugt und den Zuschauer mitfiebern lässt. Gleichzeitig setzt Gallenberger aber viel zu sehr auf eine konventionelle Action-Dramaturgie, die den vorangegangenen Schrecken merklich überlagert. Auch dann noch, wenn im Abspann weitere Informationen zur Colonia Dignidad über die Leinwand flimmern. Als schneller Einstieg in eine erschütternde Thematik mag Gallenbergers Thriller-Interpretation nicht verkehrt sein. Wer allerdings ernsthaft hinter die Fassade von Schäfers Terrorregime blicken will, sei an dieser Stelle auf den schonungslos-beklemmenden Dokumentarfilm Deutsche Seelen – Leben nach der Colonia Dignidad verwiesen.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/colonia-dignidad-es-gibt-kein-zurueck