My Big Night

Imitation of Life

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Als man sich noch nicht ganz an die Schnittfrequenz im Temporausch von Álex de la Iglesia in My Big Night gewöhnt hat, schneidet der Filmemacher in den Schnittraum, um sein Tempo mit einem Meta-Kniff in der Fernsehlogik zu verorten. Denn im Schnittraum fordert die Bildregisseurin im Film vehement einen Schnitt nach dem anderen von ihrer Assistentin und de la Iglesia leistet ihr willenlos Folge und verschwindet so völlig in der vor Eitelkeit und kunterbunter Extravaganz platzenden Fernsehwelt. In diesem Kniff liegt, wenn man so will, die Eintrittskarte in die satirisch-ironischen Rauschwelten des Films, dessen Tempo in keiner einzigen Sekunde diese TV-Logik verlassen wird. Alles andere im Film lechzt nach Kino.
Der Film spielt fast ausschließlich in einem riesigen, aufregenden und mit Details gespickten TV-Studio, in dem eine Silvesterparty mit großen Stars wie dem Sänger Alphonso (gespielt von der spanischen Sängerlegende Raphael) und dem äußerst dummen und sexbesessenen neuen Stern am Schlagerhorizont Bombero aufgezeichnet werden soll. Doch so ganz will diese Aufzeichnung in keiner Sekunde gelingen, denn im Stil einer Screwball-Komödie gibt es allerhand absurde Intrigen und Katastrophen, die in episodischen Sequenzen zu immer neuen Absurditäten und Katastrophen zusammenlaufen. Hinter den Kulissen ist hier eine große Kulisse. Mit dabei sind ein Spermadiebstahl, ein Vater-Sohn-Groupie-Konflikt samt Mordversuch, gewalttätige Demonstrationen vor dem Studio, Liebesbeziehungen im Schnittraum, tödliche Beziehungen unter den Statisten, eine Mutter, die ihr Jesuskreuz nicht loslassen will, ein Mann, der von einem Kamerakran erschlagen wird, und so weiter. Eigentlich befindet man sich über die gesamte Dauer des Films auf einer Party wie jener zu Beginn von Paolo Sorrentinos La grande bellezza und selbst, wenn einen die schiere Hysterie von Zeit zu Zeit ermüdet und es sicherlich avanciertere Möglichkeiten gibt, mit Rhythmus umzugehen, muss man dem Film zugutehalten, dass ihm tatsächlich nie die Luft ausgeht.

Blake Edwards auf kitschigem Speed, aber immer mit einem bitterbösen Auge auf den satirischen Gehalt von My Big Night (der Titel spielt auf ein Lied im Film und gleichermaßen ein Tattoo an) – Álex de la Iglesia schafft es, den übersexualisierten, hysterischen Humor mit einer Farce des Narzissmus und der Künstlichkeit zu verknüpfen, die zwar nie eine besondere Perspektive auf Altbekanntes werfen kann, aber in ihrer Brachialität nie an Eleganz in der Inszenierung verliert. Die beständigen Halbfahrten, die man aus dem Fernsehen kennt, werden hier mit einer derart leidenschaftlichen Penetranz ineinander geschnitten, dass man sich beschleunigt fühlt. Vor allem das Szenenbild mit seiner wilden Mischung aus verschiedenartigen Räumen, die vom klassischen Rom über Weimar und Post-Industrial bis SciFi sehr vieles abdecken, bewegt sich auf hohem Niveau. Das wahre Wunder im Film ist jedoch, dass er nicht völlig auseinanderfliegt. Man kann ihm folgen und daran sieht man vielleicht, wie es inzwischen um unsere eigenen Sehgewohnheiten bestellt ist.

Für Álex de la Iglesia ist My Big Night sicherlich einer seine am wenigsten düsteren Arbeiten. Zum Teil erinnert sie an seinen ehemaligen Förderer Pedro Almodóvar. Es gelingt de la Iglesia hier allerdings auf wundersame Weise, Ironie mit Spektakel zu verbinden, und damit schließt er tatsächlich an ein längst vergessenes Hollywoodkino an, in dem die Idee, dass man keine Luft mehr bekommt, nicht an einer Person im Schnittraum liegt, die beständig "Cut" schreit, sondern daran, dass sehr vieles passiert und sich auf magische Weise zusammenfügt.

(Patrick Holzapfel)
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Jeder Entertainer weiß es: The show must go on. Unterhaltung ist schließlich ein Geschäft, wenn nicht sogar Fließbandfertigung, die ja bekanntermaßen auch immer weiter läuft. Doch was, wenn das große Finale wirklich einmal ausbleibt und ein Event einfach nicht enden will? In Álex de la Iglesias Mi Gran Nochet verwandelt sich die vom Pech verfolgte, schier endlose Produktion einer Fernseh-Silvestergala (die praktischerweise bereits im September aufgezeichnet wird) langsam in eine Vorhölle der guten Laune.

Die hyperaktive Showbiz-Farce macht unmissverständlich klar, was Neil Postman schon vor über 30 Jahren formulierte: Wir amüsieren uns zu Tode. Iglesia entwirft eine infantilisierte und künstliche Medienwelt, in der die Protagonisten nur noch triebgesteuert der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung nachjagen. Dazu verwebt er zahllose Handlungsstränge zu einem gewaltigen Story-Knäul und hastet mit seiner Kamera durch die engen Gänge des Fernsehstudios atemlos von Ereignis zu Ereignis.

Die "Hauptrolle" des Ensemblestücks spielt ironischerweise einer der Statisten: Nachdem einer der Galagäste von einem Kamerakran erschlagen wird, bekommt der Durchschnittstyp Jose (Pepon Nieto) von der Arbeitsagentur den frei gewordenen Posten zugewiesen und wird unvorbereitet in das fellinieske TV-Chaos geworfen. Die Aufnahme läuft seit geschlagenen zehn Tagen und die Umstände treiben alle Beteiligten langsam in den Wahnsinn: Die Moderatoren Roberto und Christina (Hugo Silva, Carolina Bang), die eigentlich durch den Abend führen sollen, können sich auf den Tod nicht ausstehen – vor allem, weil beide auf einen Posten bei der Reality-Fernsehserie Survivor hoffen. Der alternde Schlagerveteran Alphonso (weniger gespielt als vielmehr gelebt von Eurovision Song Contest-Teilnehmer Raphael) wollte ursprünglich mit einer seiner Kitsch-Balladen das neue Jahr einleiten, muss diese Ehre aber nun an Teenagerschwarm Adanne (Telenovela-Star Mario Casas) abtreten. Gemeinsam mit seinem Assistenten und Adoptivsohn Juri (Carlo Areces) setzt er daher alles daran, sich für diese Schmach zu rächen – ohne zu ahnen, dass dieser einen psychotischen Killer auf ihn angesetzt hat, um die Vernachlässigung seiner Pflichten als Vater zu bestrafen. Adanne hat währenddessen eigene Sorgen: Eine seiner zahllosen Gespielinnen hat ein Fläschchen mit seinem Sperma gestohlen und plant nun, sich durch den Samenraub Alimente zu erklagen. Zu allem Überfluss liefern sich vor dem Studio auch noch wütende Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei, während Fans und Autogrammjäger zwischen die Fronten geraten.

Jose soll nun also im Studio den bestens unterhaltenen Partygast mimen, was gar nicht so einfach ist. Das Festmahl und die Getränke sind lediglich aus Plastik, Applaus und Gelächter werden immer wieder aufs Neue vom aggressiven Aufnahmeleiter Benitez (Santiago Segura) eingefordert. Vergnügen auf Kommando. Am zugewiesenen Tisch entsteht so etwas wie eine Miniaturversion von Sartres Geschlossene Gesellschaft, die Gäste sind einander hoffnungslos ausgeliefert und beginnen alsbald einander zu hassen und zu lieben. Ausgerechnet die attraktive Paloma (Blanca Suarez) macht Jose schöne Augen. Was er nicht weiß: Ihre Zuneigung führt oft ins tödliche Unglück...

Iglesia inszeniert seinen Film als ein schrilles Lustspiel mit brachialem Humor, irgendwo zwischen Slapstick und Screwball-Komödie. Die Tatsache, dass nicht jeder Gag ein Volltreffer ist, wird geschickt durch Ausdauer und Geschwindigkeit überspielt. Jeder Blindgänger geht in dem Trommelfeuer aus Scherzen gnadenlos unter und jede Einstellung ist überladen mit visuellen Reizen. Überall hagelt es Konfetti, flackern Lichter, manchmal donnert sogar ein Querschläger von der Straße durch die Studio-Räumlichkeiten. Der Film wirkt oft wie eine Realadaption der Looney Tunes.

Doch selbst wenn alle Figuren grotesk überzeichneten Cartoons gleichen, ist der Regisseur immerzu auf der Suche nach dem Echten, dem Authentischen, dem richtigen Leben im falschen. Kann es unter den Entertainern und Entertainten noch wirkliche Emotionen geben, die nicht auf Befehl und passend zum Musikeinsatz kommen? Immer wieder versuchen Figuren, aus der bunten Medienwelt auszubrechen. Sie schwingen sich zu pathetischen Reden auf und schwören einander die ewige Treue. Die bittere Pointe ist, dass jeder neue Ausbruchsversuch direkt wieder Teil der Show wird. Fast jeder Akt der Subversion wird von der Branche einfach absorbiert. Das wird spätestens klar, wenn der Killer, der eigentlich gekommen ist, um Alphonso zu töten, plötzlich auf der Bühne steht und begeistert eines seiner Stücke zum Besten gibt – das titelgebende "Mi Gran Noche".

Mit den spanischen TV- und Musik-Stars des Films vertraut zu sein hilft, einige Insiderwitze zu verstehen, ist aber nicht zwingend erforderlich. Manche Anspielung mag für Nichtspanier verloren gehen, doch der Blick auf das Showgeschäft ist universell genug, um auch über die Landesgrenzen hinweg zu unterhalten.

Im Endeffekt funktioniert Mi Gran Noche aber besser als reiner Unterhaltungsfilm denn als Mediensatire: Die Komödie ist formell und visuell zu nah an der bunten Fernsehwelt, um wirklich glaubwürdig Kritik oder so etwas wie eine Botschaft zu vermitteln. Iglesia ist als Regisseur stets bemüht, seine leicht trashigen B-Filme mit subversiven Zwischentönen zu versehen. Mi Gran Noche lässt sie jedoch im lauten, respektlosen Gag-Feuerwerk untergehen. Die Spielzeit fliegt nur so vorüber, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Aber das ist natürlich nicht schlimm, denn das nächste Unterhaltungsprodukt wartet ja schon. Die Show muss weitergehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/my-big-night