Kash Kash (2022)

Show Don’t Tell

Eine Filmkritik von Julia Stanton

Tauben sind für die meisten Menschen besonders in großen Städten ein Ärgernis. Nicht so in Beirut. Dort haben sie – zumindest für einige Taubenliebhaber und -sammler – großen Wert. Statt als dreckig und unhygienisch, gelten sie als schöne, majestätische Wesen, die den Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen sind. Sie stehen für Freiheit, Friede und Hoffnung. Kaum verwunderlich also, dass die Sammler im Libanon viel Geld für die Tiere ausgeben, um sie dann im Spiel „Kash Haman" fliegen zu lassen.

Von der Besessenheit mit Tauben und diesem ungewöhnlichem Zeitvertreib erzählt der Dokumentarfilm Kash Kash, Without Feathers We Can’t Live der libanesischen Regisseurin Lea Najjar. Es handelt sich dabei um ihr Uni-Abschlussprojekt an der Filmakademie Baden-Württemberg. Der Film wurde im Laufe des letzten Jahres auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt, darunter die Berlinale und das DOC NYC. Im August erhielt er den Deutschen Dokumentarfilmpreis.

Kash Kash folgt den drei Taubensammlern Hassan, Radwan and Muhammad sowie einem jungen Mädchen, das gerne Taubensammlerin werden würde. Bei dem Spiel, an dem sie sich beteiligen, „Kash Hamman", geht es darum seine Taubenschwärme fliegen zu lassen, während  rivalisierende Spieler aus der Nachbarschaft dies zeitgleich tun. Durch Pfeifen, Schnalzen und das Werfen von Orangen versuchen sie, die Tauben zu lenken, immer in der Hoffnung, ihre Schwärme zu vergrößern. 

Das Spiel beruht auf einem Mythos, der besagt, dass zwei rivalisierende Könige gegeneinander kämpften, um die Burg des jeweils anderen erobern. Doch weil dabei zu viele unschuldige Menschen starben, entschlossen sich die Könige, ihre Kämpfe in den Himmel zu verlegen. Die Tauben wurden zu ihren Armeen, die sie anstelle ihrer Soldaten opferten. Dieser Mythos, der als Einstieg in den Film dient, kann als Allegorie für die Situation der Taubensammler verstanden werden. Entstanden ist Kash Kash im Herbst 2019, während einer schweren Wirtschaftskrise, kurz vor Beginn der Revolution im Libanon. Die Aufruhr im Land steht klar im Hintergrund dieses Films und wird aus der Perspektive der Taubensammler in origineller und ungewöhnlicher Weise dargestellt. 

Wer Kontext zur Entstehung der Krise oder langwierige Erklärungen zur politischen Situation erwartet, der wird enttäuscht. Aber darum geht es auch nicht. Der Film operiert stattdessen nach dem Prinzip „Show, don’t tell" und verleiht einen realen Einblick in das Leben und die Probleme seiner Protagonisten. Es werden intime Momente gezeigt, die den Eindruck erwecken, als hätten die Männer vergessen, dass sie gefilmt werden. 

Dabei wird jedem der Protagonisten gesondert Aufmerksamkeit gewidmet und jede Geschichte berührt in einer anderen Art: Der Fischer Muhammed, der am „Todesfelsen" arbeitet und dort miterleben muss, wie sich verzweifelte Menschen in den Tod stürzen. Hassan, dem das Spiel mit den Tauben erlaubt, Kontrolle zu übernehmen, in einer Situation, in der er der Willkür von Politikern ausgeliefert ist. Radwan, der einen Ausweg aus dem Land sucht, aber nicht weiß wohin er gehen könnte. Und zuletzt das junge Mädchen, das Taubensammlerin werden will und das von ihrem Onkel dafür gerügt wird, weil „Kash Hamman" ein Männerspiel sei, sich dadurch aber nicht von ihrer Faszination abbringen lässt. 

Der Film erzählt jede dieser Geschichten mit großer Sensibilität und Einfühlungsvermögen. Die Verzweiflung und die zunehmende Frustration mit der zerrütteten politischen und wirtschaftlichen Situation im Land wird nachvollziehbar dargestellt und in diesem Zusammenhang wird dann auch verständlich, welche Bedeutung die Tauben für die Protagonisten haben. 

Auch visuell überzeugt der Dokumentarfilm. Die Kamera selbst scheint zeitweise zu einem der Taubenliebhaber auf dem Dach zu werden; folgt den fliegenden Vögeln aufmerksam und scheinbar voller Bewunderung. Den beeindruckenden Aufnahmen der Tauben, die am Himmel ihre Kreise ziehen, wird klar der Enge der Stadt entgegengesetzt: die Häuser, das Chaos, der Dreck und die vielen Menschen. So schafft der Film es, visuell zu vermitteln, wie beklemmend sich die Stadt anfühlt.

Inmitten der ohnehin schon schweren Krise, zeigt der Film am Ende die Auswirkungen der schweren Explosion im Hafen Beiruts im August 2020. Bei der Katastrophe starben 200 Menschen; mehr als 300.000 – darunter auch Filmprotagonist Radwan – verloren ihr Zuhause. Zumindest die Tauben, so berichten Hassan und Radwan erleichtert, haben die Katastrophe zum Glück unversehrt überstanden. Die Botschaft scheint klar: Solange die Tauben fliegen, können wir noch Hoffnung haben; solange die Tauben im Himmel für uns kämpfen, kämpfen wir hier unten auch.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/kash-kash-2022