Schock (2023)

Unterwelt-Arzt

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Bruno will helfen, unter allen Umständen: Er ist Arzt aus Berufung, aber ohne Beruf. Regelmäßig muss er einen Drogentest bestehen, vielleicht bekommt er irgendwann seine Approbation zurück. Solange heilt er illegal – aber mit größter Leidenschaft. Er kann wohl nicht anders. Denis Moschitto spielt diesen Bruno mit intensiver Traurigkeit und Aufgewühltheit; er hat mit Daniel Rakete Siegel das Buch geschrieben und auch Regie geführt, und dies ganz famos. Nacht und Regen, schäbige Hinterhäuser, räudige Kriminelle, zwielichtige Gestalten, ungewöhnliche Kamerawinkel: "Schock" ist ein Neo-Noir, der eine ganz besondere Perspektive einnimmt.

Wer verarztet eigentlich die, die bei den Schießereien im Gangsterfilm verwundet werden? Gibt es da eine neutrale Instanz, von allen anerkannt, die allen Seiten gleichermaßen helfend zur Verfügung steht? Bruno bewegt sich frei in der Unterwelt von Köln, hilft im Puff beim Zähneziehen und bei Schießereien, impft in Bauruinen und geht zu den Mühseligen und Beladenen. Seine Künste sind offenbar bis nach oben bekannt: Eine Anwältin (Anke Engelke) beauftragt ihn zu einer Antikörperbehandlung bei einem krebskranken Mafiosi. Ein Großauftrag, an dem sich Bruno verheben wird. Zumal er dann doch mitten in den Schusslinien eines Gangsterkrieges steht, in den auch sein Schwager verwickelt ist.

Siegel und Moschitto finden die perfekte Balance aus Tragödie und Thriller, zeigen einen Getriebenen, zeigen die Verlorenen, die nicht rauskönnen – sowohl Giovanni, der Schwager (Fahri Yardim), als auch Brunos Schwester (Aenne Schwarz) sind gefangen in ihrem Leben. Sie kommt nicht los von ihm, und er kommt nicht los davon, seine Gegner zu bekämpfen.
Und Bruno ist abhängig, nicht nur von Drogen – diese Sucht abzulegen, da ist er fest dabei –, sondern von seinen Lieferanten. Wenn er da gefickt wird, dann ist er wirklich gefickt, weil alles daran hängt an seiner Glaubwürdigkeit als Mediziner. Gerade bei einem 50.000-Euro-Auftrag, gerade wenn es um die Italiener geht. 

Bruno ist von vornherein auf aussichtslosem Kurs. Aber er kann kämpfen, wenn er etwas kann, dann das: sich in seiner Situation orientieren, sich herauswinden. Wir sehen ihm dabei zu, und das ist weit mehr als ein hochspannendes Gangster-Genrestück. Es geht um die Chancen, die man nicht hat und dennoch nutzt, es geht um die Ausweglosigkeit, von der man sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Es geht darum, weiterzumachen, auf jeden Fall.

Schock ist ein herausragendes Beispiel dafür, dass Genrestücke aus Deutschland funktionieren. Man kann hoffen, dass das Publikum dies (an)erkennt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/schock-2023