Für immer (2023)

Die Kunst, zusammen alt zu sein

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Eva und Dieter Simon sind seit mehr als 60 Jahren ein Paar. Die Frage, ob die Ehe bis zum Lebensende halten wird, stellt sich ihnen längst nicht mehr. Eva verrät, dass sie lieber vor Dieter sterben möchte, denn für den, der übrig bleibt, sei es schwerer. In ihrem schönen Haus am Waldrand genießen die beiden ihren letzten gemeinsamen Lebensabschnitt. Beide sind es gewöhnt, im Alltag auch ihren eigenen Interessen nachzugehen. Doch die zunehmende Schwäche Evas lässt das Paar immer näher zusammenrücken. Wenn Eva und Dieter einzeln und gemeinsam Rückschau halten, wirkt es manchmal, als wollten sie damit vor allem der Filmemacherin Pia Lenz ("Alles gut – Ankommen in Deutschland") einen Gefallen tun. Denn die Beziehung der beiden Eheleute spielt sich im wesentlichen jenseits von Worten ab.

Die kleinen, zärtlichen Gesten der Vertrautheit, die Eva und Dieter austauschen, fallen oft gar nicht richtig auf. Aber sie summieren sich, während die Filmkamera ihren Alltag im Verlauf mehrerer Jahre beobachtet, zu einem berührenden Gesamteindruck. Eine alte Liebe scheint als Thema für das Medium Film wie geschaffen: Sie verrät ihr Geheimnis nicht an die Sprache, sondern lässt Außenstehende mit einer Mischung aus Staunen und Neid erkennen, dass sie sich als Werk zweier Individuen nicht kopieren lässt. Der Dokumentarfilm von Pia Lenz geht mit der inhaltlichen Kostbarkeit, von der er selbst profitiert, angemessen und reflektiert um. Das Ehepaar ist stolz genug auf die eigene Beziehung, um sie filmisch festhalten zu lassen, setzt sich dafür aber nicht in Pose. Wenn Dieter seiner Frau hilft, abends die Strümpfe auszuziehen, wirkt das so zwanglos beobachtet wie ein gemeinsamer Theaterbesuch oder das kleine Tänzchen am Silvesterabend zu zweit.

Das schöne, modern anmutende Haus ist als Werk des Architekten Dieter eine Schau für sich. Von ihrem Schreibtisch im Obergeschoss blickt Eva auf Bäume. Die vielen hohen Nadelbäume rundum sorgen für eine dunkle Note in der Märchenwald-Atmosphäre. Einmal steht ein Reh vor dem Fenster, und wenn Dieter wie so oft draußen Holz hackt oder einen Zaun repariert, sind gurrende Wildtauben zu hören. Dieter kümmert sich auch um das Essen, er kocht und deckt den Tisch. Eva weiß das zu schätzen, denn das war nicht immer so, wie sie erzählt. Für die Kamera holt sie ihre Tagebücher heraus, das erste stammt aus dem Jahr 1949. Zehn Jahre später wird sie die erste von mehreren Ehekrisen schriftlich festhalten. Das Paar bekommt Kinder, die Aufgabenteilung ist traditionell: Sie bleibt zuhause und leidet darunter, dass sie nicht mehr im Schuldienst arbeiten kann. Dann bricht eine Tragödie über die Familie herein: Die vierjährige Tochter wird beim Spielen auf der Straße überfahren und stirbt. 

Über die Bücher, die Eva Simon veröffentlicht hat, erfährt man hier kaum etwas. Die Liste steht auf ihrer Webseite, ebenso dass sie in den 1990er Jahren auch Drehbuchautorin der deutschen Version der Sesamstraße war. Oft erzählt gar nicht Eva selbst von früher, stattdessen liest Nina Hoss aus ihren Tagebüchern vor. Ihre Stimme entfaltet aus dem Off eine ruhige, fesselnde Kraft. Für ein anderes schwieriges Thema aber setzen sich Eva und Dieter nebeneinander, frontal zur Kamera. Es geht um die ehelichen Seitensprünge. Als das Gespräch stockt, liest Hoss weiter aus dem Tagebuch, dem Eva ihre Gedanken und Gefühle offener anvertraute. Die vielen Fotos und Amateurfilmaufnahmen von früher belegen die Vermutung, dass es wohl dennoch genügend glückliche Momente in dieser Ehe gab. Dieter mache kein großes Aufheben um seine Gefühle, sie schätze das so, hat Eva notiert. An einem Herbstabend entfacht Dieter vor dem Haus ein Holzfeuer, und dann sitzen sie beide davor auf einer Bank und leben den Augenblick. 

Das Paar spricht auch über das Sterben, es sind aber nur wenige Sätze, die nichts ausdiskutieren. Eva und Dieter sind offenbar gewillt, sich Hand in Hand dem unbekannten Abenteuer zu stellen, wie es auch kommen mag. Zu Anfang des Films hält Eva eine Lesung vor Schulkindern, später inhaliert sie im Wohnzimmer regelmäßig Sauerstoff. Dann liegt sie im Pflegebett, Dieter hält ihre Hand. Der gemeinsame Weg wird in all den kleinen Momenten sichtbar, die die Kamera scheinbar zufällig sammelt. Der leichte, natürliche Eindruck, der beim Zuschauen entsteht, ist jedoch sorgfältig im Schnitt durchkomponiert. Englischsprachige Liebeslieder begleiten das Geschehen. Man nimmt ein Gefühl tiefer Zufriedenheit aus diesem Film mit, eine Verwunderung darüber, wie unspektakulär die Dinge sein können, auf die es im Leben ankommt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/fuer-immer-2023