Pale Flower (1964)

Glänzende Dunkelheit, blasse Schönheit

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der 1931 geborene Regisseur Masahiro Shinoda zählt zu den Begründern der japanischen neuen Welle (Noberu Bagu). Mit „Pale Flower“ drehte er im Jahre 1964 einen Film noir, der stilprägend für das Subgenre des Yakuza-Thrillers war. Nun lässt sich die existenzialistische Großstadtballade auf der Kinoleinwand (wieder-)entdecken.

Schon der Einstieg zieht uns gnadenlos hinein ins Chaos der Moderne. Während der Protagonist Muraki (Ryo Ikebe), ein alternder Gangster, via Voice-Over erzählt, dass er für drei Jahre im Gefängnis saß, weil er jemanden getötet hat, werfen uns Shinoda und sein Kameramann Masao Kosugi ins urbane Getümmel. „Mir wird ganz schwindelig“, meint Muraki – und die Bildsprache macht die Überforderung und den Ekel perfekt nachvollziehbar. Immer wieder werden Menschen mit Tieren verglichen. Mit nihilistischem Blick betrachtet der Held sein Umfeld, das sich rasant verändert und ihn hinter sich zu lassen droht.

Dem Werk gelingt, wie den besten Vertretern des Film noir, eine faszinierende Mischung aus düsterer Abgründigkeit und einnehmender Poesie. Das Finstere und das Schöne erscheinen hier nicht als unvereinbarer Gegensatz, sondern vielmehr als unabdingbares Konglomerat. Das Skript von Shinoda basiert auf einer Erzählung des Schriftstellers Shintarō Ishihara. Als Inspiration diente nicht zuletzt Charles Baudelaires Mitte des 19. Jahrhunderts herausgegebener Gedichtband Die Blumen des Bösen, in dessen Titel besagte Vereinigung von Bedrohlichem und Betörendem genial erfasst wird.

Die schwarz-weißen Cinemascope-Aufnahmen und der Cool-Jazz-Score des Komponisten Toru Takemitsu sind ein morbides Fest, dem wir staunend beiwohnen. Die Figuren geben sich derweil der Obsession hin. Bei illegalen Kartenspielen wird Muraki auf die junge Saeko (Mariko Kaga) aufmerksam. „Wer ist sie?“, fragt er. „Das weiß keiner“, lautet die Antwort. Als filmhistorisch kundiges Publikum könnten wir dem desillusionierten, doch plötzlich von Leidenschaft und Neugier erfüllten Yakuza zurufen: „Sie ist eine Femme fatale – ganz klar, ganz klassisch.“

„Das Leben ist langweilig“, findet Saeko – und sucht deshalb den Nervenkitzel. Sie will um höhere Einsätze spielen. Muraki verspricht, sie an exklusive Orte zu führen, an denen dies möglich ist. Die beiden werden zu Adrenalinsüchtigen der Nacht. Bald entwickelt sich eine Dreiecksbeziehung, als mit dem aus Hongkong stammenden Yoh (Takashi Fujiki) eine weitere verlorene Seele die Bühne betritt. Die Jagd nach Intensität, der dringende Wunsch, endlich etwas zu spüren – auf tragische und zugleich atemberaubend reizvolle Art und Weise setzt Shinoda dies in Pale Flower in Szene und erschafft einen Film, der sowohl bittere Wirklichkeit als auch böser Traum ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/pale-flower-1964