Killers of the Flower Moon (2023)

Der Todesrausch des schwarzen Goldes

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die verhängnisvollen Machenschaften der mächtigen Ölkonzerne, ihre jahrzehntelangen Mauscheleien um Macht und Geld, ihr Negieren der von ihnen wesentlich mit angefeuerten Klimakrise und ihr mit Milliarden Petrodollars ausgestattetes Agitieren gegen Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen treten immer deutlicher zutage und es scheint, als seien die Tage der Profiteure dieses Systems der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen mittel- bis langfristig endgültig gezählt.

Vor diesem Hintergrund wirkt Martin Scorseses neuer, mit 206 Minuten Laufzeit sehr üppig ausgefallener Film Killer of the Flower Moon beinahe schon wie eine Zeitreise in die Frühgeschichte des fossilen Kapitalismus, wobei natürlich etwas ganz anderes mit Mittelpunkt der wahren Story steht. 1870 hatte der Stamm der Osage nach dem Verlust ihres Stammlandes an weiße Siedler ein Gebiet von rund 5.700 Quadratkilometer in der Nähe der Grenze zu Kanada als neues Siedlungsgebiet zum Spottpreis von 1,90 US-Dollar pro Hektar gekauft und sich dort niedergelassen. 1897 wurde in genau diesem Gebiet Erdöl entdeckt, was die Osage von einem Tag auf den anderen zu reichen Leuten machte.

Dementsprechend schnell stellte sich der Neid der weißen Mitbürger*innen ein, der schnell in dem Vorwurf mündete, die Osage seien nicht in der Lage, mit dem plötzlichen Reichtum umzugehen. Deshalb verabschiedete der US-Kongress 1921 ein Gesetz, das besagte, dass die Gerichte für jeden Osage und jedem, der mindestens zur Hälfte von ihnen abstammte, einen Vormund ernennen mussten. Dieser sollte dann ihre Tantiemen und finanziellen Angelegenheiten verwalteten, bis sie ihre „Mündigkeit“ unter Beweis gestellt hatten. Die Vormunde wurden dabei von den Gerichten aus vor Ort lebenden weißen Anwälten oder Geschäftsleuten auserwählt und benannt. Ein System der Unterdrückung und Kontrolle, das dem kriminellen Missbrauch der Schlupflöcher zur eigenen Bereicherung Tür und Tor öffnete. In der Folge dieser Gesetzgebung kam es bis zum Jahr 1925 mindestens sechzig gewaltsame Morden an Mitgliedern der Osage, bei denen es stets darum ging, in den Besitz der Schürfrechte zu gelangen.

Der Journalist David Grann arbeitete dieses weitere unrühmliche Kapitel amerikanischer Geschichte in dem Sachbuch Killers of the Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI auf, das 2017 erschien. Martin Scorsese übernahm schließlich gemeinsam mit Eric Roth die Anpassung des Stoffes für die Leinwand. Und so gerät Killers of the Flower Moon zu einem Film, der sich sehr um historische Genauigkeit bemüht, der immer wieder historisches Archivmaterial einbaut und so ein akkurates Bild jener Zeit zeichnet.

Darüber hinaus erinnert der Film freilich auch nicht nur aufgrund seiner epischen Länge an die großen Werke Scorseses (Taxi Driver, GoodFellas, Casino). Man kann darin durchaus zahlreiche Variationen seiner Geschichten über Aufstieg und Fall erkennen, über Habgier und Macht, über mächtige Männer, die die Strippen ziehen und andere, die ihnen untergeordnet sind und die unter dem Einfluss ihres Mentors jegliche Moral verlieren.

Leonardo DiCaprio spielt Ernest Burkhart, eine Kriegsheimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg, der nach Oklahoma kommt, um dort sein Glück zu suchen. Sein Onkel William Hale (Robert De Niro), ein reicher Farmer, greift ihm dabei unter die Arme, weist den nicht gerade schlauen Neffen ein in die Besonderheiten der Gegend, über den Reichtum der Osage und wie man daraus Kapital schlagen kann. Schnell gewinnt Burkhart das Vertrauen der Osage Mollie (herausragend: Lily Gladstone) und die beiden heiraten schließlich.

Allerdings häufen sich zu der Zeit die Todesfälle in der Gegend, sodass Washington einen Ermittler (Jesse Plemons) des gerade gegründeten Bureau of Investigation (später ging daraus das FBI hervor) in die Gegend schickt, der die Hintergründe der Morde aufklären soll. Gleichzeitig gerät Ernest immer mehr unter den Einfluss seines Onkels und schreckt dann auch nicht mehr davor zurück, seine eigene Ehefrau langsam zu vergiften.

All dies erzählt Martin Scorsese mit viel Sympathie selbst für die scheußlichsten Schurken, einem guten Auge, sowie viel Einfühlungsvermögen für die krassen Gegensätze, die hier kulturell aufeinanderprallen. Immer wieder finden sich Passagen im Film, in denen die Sprache der Osage gesprochen wird und selbst Ernest gelingt es im Verlauf des Films, einige Sätze herauszubringen. Und so gerät der Film nicht nur zu einer Sittengeschichte der USA, sondern auch zu einem akkurat inszenierten Period Piece, einem Thriller, einer Great American Story, von denen Scorsese im Laufe seiner Karriere schon so viele verwirklicht hat.

Nach einer mehr als dreistündigen Laufzeit, die aber kaum je Längen aufkommen lässt, findet Martin Scorsese schließlich zu einer finalen und herrlich augenzwinkernden Volte, die beinahe wie eine charmante Entschuldigung für alle die Toten und Grausamkeiten wirkt, die der Regisseur in den Jahrzehnten seines Schaffens dem Publikum zugemutet hat: „Seht her, es ist alles nur Entertainment und Show, Schall und Rauch und Orchestermusik, euch zur Zerstreuung dargeboten“, so scheint er uns zuzurufen – und es ist zu wünschen, dass dies nicht der Abschiedsgruß eines großen alten Meisters ist.

Gesehen beim Filmfestival in Cannes 2023

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/killers-of-the-flower-moon-2023