Kandahar (2023)

Von Feinden umzingelt

Eine Filmkritik von Florian Koch

Im Fußball wollen saudische Klubs bald zu den großen Playern gehören. Augenscheinlich ist man dafür bereit, aberwitzige Summen zu investieren, um sich mit alternden Stars wie Cristiano Ronaldo zu schmücken. Ähnlich ambitioniert gibt sich Saudi-Arabien, aller Menschenrechtsverletzungen zum Trotz, im Filmgeschäft. Das Red Sea International Film Festival präsentiert sich seit Jahren aufdringlich weltoffen und rollt für Stars wie Guy Ritchie oder Spike Lee gerne den roten Teppich aus. Einen Schritt weiter geht man mit der Errichtung eines gewaltigen Studiokomplexes in der illustren, zwischen Vulkangestein und Oasen angesiedelten Region AlUla.

 

Die erste Frucht dieser Anstrengungen ist nun der aufwendige US-Spionagethriller Kandahar, der komplett in Saudi-Arabien gedreht wurde – auch wenn er gar nicht in dieser Region spielt. Weite Teile der Handlung, der Titel deutet darauf hin, sind in Afghanistan verortet, auch wenn der Startschuss zu einem klassischen Wettlauf gegen die Zeit in Iran fällt. 

Gerard Butler überzeugt wie schon in Plane als zupackender Machertyp, der beruflich weit mehr Expertise (CIA-Geheimagent) als privat (Scheidung läuft) vorzuweisen hat. Bester Beweis dafür ist seine Infiltration eines geheimen iranischen Nuklear-Labors. Nach der ferngesteuerten Sprengung durch die CIA ist er wenig überraschend auf der Flucht. Ein Kampf ums Überleben, der durch Enthüllungen der Investigativ-Journalistin Luna (Nina Toussaint-White) weiter auf die Spitze getrieben wird. Noch ehe der ausgebrannte Workaholic seinen nächsten Job – Geldgier macht’s möglich – in Afghanistan annimmt, ist er enttarnt und hat 30 Stunden, um in Kandahar einen rettenden Flughafen zu erreichen.

Regisseur Ric Roman Waugh, ein versierter Action-Handwerker (Greenland), lässt sich Zeit, um zum Kern seiner Geschichte vorzustoßen. Beim Vorführen potenzieller Gefahrenquellen, darunter mit Kahil (Ali Fazal) einen pakistanischen Auftrags-Killer, der mit seinem geleckten Auftreten auch als Model durchgehen würde, verzettelt sich der Film anfangs in Nebenkriegsschauplätzen. Richtiges Format gewinnt „Kandahar“ erst mit der Einführung des afghanischen Übersetzers Mo (Navid Negahban), der ohne sein Wissen vom CIA-Mittelsmann Roman (Travis Fimmel) an die Seite von Harris beordert wird. Der aus der US-Serie Homeland bekannte Iraner Negahban verfügt über genügend Charisma, um seine sanftmütige Figur über das Klischee des orientalischen Gutmenschen zu heben. Zur Glaubwürdigkeit trägt auch bei, dass Drehbuchautor Mitchell LaFortune für seine mit Buddy-Movie-Elementen spielende Geschichte auf eigene Erlebnisse als Offizier des Verteidigungsnachrichtendiensts DIA in Afghanistan zurückgreifen konnte.

Den Machern von Kandahar gelingt es dann auch im zweiten Teil bei aller Actionfilm-Zuspitzung, wie einer eindrucksvollen Nachtsicht-Verfolgungsjagd, den Krisenherd Afghanistan vielschichtig aufzufächern – ohne dabei in stumpfe Schuldzuweisungen abzugleiten. Gerade die berührende persönliche Geschichte von Mo, seine Trauer um den willkürlich zum Opfer gefallenen Sohn und die Suche nach der verschollenen Schwester seiner Frau, hebt den Film über das Gros gängiger Fließband-Actionware eines Gerard Butler. Bezeichnend ist jedoch, dass „Kandahar“ wohl auch wegen der Ähnlichkeit zu Guy Ritchies nahezu parallel gestartetem Film Der Pakt (in Deutschland bereits auf Prime Video) an den US-Kinokassen gnadenlos durchfiel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/kandahar-2023