Heimsuchung (2023)

Trauma als Gespenst

Eine Filmkritik von Simon Stockinger

Michaela (Cornelia Ivancan) ist eine erst seit kurzem trockene Alkoholikerin. Das Familienleben mit Ehemann Alex (Lukas Turtur) und Tochter Hanna (Lola Herbst) ist arg mitgenommen von dieser Suchterkrankung, die in einem Autounfall gipfelt, bei dem sich die Tochter den Arm bricht. Kurz darauf verstirbt Michaelas Vater, und die Kleinfamilie fährt zum Begräbnis in die österreichische Provinz. Michaela nimmt das zum Anlass, um mit ihrer Tochter eine Zeit lang allein in dem alten Familienhaus zu bleiben. Sie möchte der Entfremdung entgegenarbeiten und setzt sich gegen das Misstrauen ihres Mannes durch. Bald findet sie sich mit den Schrecken ihrer eigenen, verdrängten Kindheit konfrontiert, und ein Kontrollverlust setzt ein, der das Geschehen zusehends in blanken Horror eskalieren lässt.

Am stärksten ist Heimsuchung zu Beginn. Wir werden in ein Familienleben geworfen, das von einer angespannten Kälte durchzogen ist. Noch bevor wir von dem konkreten Trauma erfahren, wird uns eine Mikrogrammatik bürgerlicher Tristesse gezeigt. Die Kamera (Alexander Dirninger) zeigt uns präzise und wenig bewegt ein erstarrtes Eheleben, in dem toxischer Argwohn herrscht. Das Unheimliche ist noch unspezifisch; nur ein genretypischer Score kündigt etwas an, das über ein Familiendrama hinausweist. 

Je mehr der Plot sich dem Horror nähert, desto generischer und abgegriffener werden die Bilder jedoch. Da sind unheimliche Kinderzeichnungen, alte Fotoalben, knarrende Treppen zum Dachboden, vorbeihuschende Schatten und ein unheimlich in der Gegend herumstehendes Kind. Dazu ein verschwiegenes Dorfleben und eine in die Handlung tröpfelnde Vergangenheit. 

Wir kennen all das von zahlreichen Beispielen des Haunted-House-Genres; ein bisschen aus Kubricks Shining (1980), ein bisschen was von der Ästhetik asiatischer Horrorfilme der frühen 2000er Jahre, insbesondere Ring (1998). Jedwedes Österreich-Kolorit geht in der braven Umsetzung dieser Standards zusehends verloren. Das ist schade, denn das anklingende Unbehagen am Kleinfamilienalbtraum und auch die starke Performance von Cornelia Ivancan machen kurz Hoffnung auf so etwas wie eine Übersetzung des Haneke- oder Seidl- oder auch Jelinek-Spirits ins Horrorfach. Diese Hoffnung wird dann aber schnell enttäuscht.

Was Heimsuchung gerade noch von der völligen Belanglosigkeit des popkulturellen Recycle-Rituals abhebt, ist, dass der Film zuletzt bruchlos auch als Psycho-Drama lesbar bleibt, in dem ein traumatischer Wiederholungszwang in Horrorbildern erzählt wird. Gelungen daran ist etwa die zugleich schöne und unheimliche Inszenierung eines Sonnenblumenfeldes als zentrale Metapher für das labyrinthische Unbewusste der Protagonistin – und zugleich als eine Art kollektives Unbewusstes der familiären Weitergabe von Traumata. Das kritische Potenzial dieser Konstellation verschenkt der Film dann aber doch freimütig, denn das Psychodrama bleibt hinsichtlich der gesellschaftlichen Dimension von Krankheit, Stigma und Gewalt – das autoritär-verschwiegene Provinzleben in Österreich ist dafür freilich strahlendes Paradebeispiel – völlig unbeholfen und kulminiert in einem individualistischen Problemlösungsansatz. Was bleibt, ist ein Horror-Drama, das einmal mehr den oft gesehenen Standards des Genres treu bleibt; well-made, aber nicht mehr. Ganz ähnlich wie Family Dinner (2022) von Peter Hengl, der ebenfalls bei der diesjährigen Diagonale, dem Festival für österreichischen Film in Graz, gezeigt wurde und ebenfalls allzu konventionell bleibt.

Heimsuchung ist übrigens der erste Film der Produktionsfirma mit dem schönen Namen "Glitter and Doom". Wir harren der Dinge, die da noch kommen mögen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/heimsuchung-2023