Catch the Killer (2023)

An der Welt zerbrechen

Eine Filmkritik von Sarah Stutte

In einer Silvesternacht erschießt ein Heckenschütze in Baltimore scheinbar wahllos mehrere Menschen, die auf verschiedenen Dächern der Stadt unbeschwert feiern. Besonders perfide dabei ist, dass er dafür die Feuerwerksexplosionen als Tarnung benutzt. Die Streifenpolizistin Eleanor Falco (Shailene Woodley), die gerade im Dienst ist, eilt zum Ort des Geschehens – einer Wohnung, von wo aus die Schüsse mutmaßlich abgefeuert wurden. Doch diese explodiert kurz darauf und mit ihr mögliche Spuren auf den Täter, der unauffindbar bleibt. 

Am Tatort macht Falco Bekanntschaft mit dem erfahrenen, doch nicht leicht zugänglichen FBI-Agenten Lammark (Ben Mendelsohn), der mit den Ermittlungen betraut wird. Dieser zeigt sich beeindruckt von Eleanors offensichtlichem Verständnis für die Psyche des Mörders, sodass er sie in sein Team aufnimmt. Doch die junge Frau hat selbst mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen, und auch Lammark hütet ein Geheimnis, das ihn letzten Endes den Job kosten kann. 

Die erste Einstellung des Films bereitet das Publikum schon auf die kommenden Minuten vor. Das Bild steht auf dem Kopf, der Himmel unten, die Wolkenkratzer oben. Die Szene vermittelt eine Warnung: Alles, was wir zu glauben wissen, wird widerlegt werden. Nichts ist wirklich sicher. Dann ertönen die ersten Schüsse, Körper fallen in sich zusammen, Panik bricht aus. Wir können – genauso wie die Menschen, die sich vor den tödlichen Kugeln zu verstecken suchen – nicht ausmachen, woher die Gefahr kommt. Hilflosigkeit macht sich in uns breit. In einer ähnlichen Szene wird dieses Gefühl später in der Handlung nochmals verstärkt. 

Die Beklemmung und Unsicherheit hält dabei vom Beginn bis fast zum Schluss des erstaunlich effektarmen Films an. Der Massenmörder ist nicht auszumachen, seine Motive bleiben lange im Dunkeln. Dafür stehen Falco und Lammark ratlos in einer überfüllten, kalten Leichenhalle. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie in diesem Fall an ihre Grenzen stoßen. Im Laufe der Ermittlungen werfen ihnen ihre Vorgesetzten Steine in den Weg, weil sie unter dem Druck der Medien möglichst schnell Ergebnisse sehen wollen. 

Natürlich lebt Catch the Killer von seiner Spannung und einigen wirklich unvorhergesehenen Wendungen, die einem nochmals den Boden unter den Füsßen wegreißen. Der Film ist aber kein typischer Krimi nach altbewährtem Action-Schema. Eher einer, der heute in dieser Form eigentlich gar nicht mehr gedreht wird. Die Geschichte atmet den Geist von 1990er-Jahre-Thrillern wie Das Schweigen der Lämmer und Der Knochenjäger, nimmt sich also viel Zeit für ihre Entfaltung und die Ausgestaltung der Figuren. 

Letzteres ist dabei besonders gelungen, denn beide Hauptdarsteller spielen hervorragend und verleihen ihren Charakteren die nötige Spannung, Tiefe und Komplexität. Shailene Woodley, die hier auch als Produzentin fungiert, bleibt als selbstmordgefährdete Polizistin, die an ihrem eigenen Anspruch scheitert, im Gedächtnis haften. Genauso wie Ben Mendelsohn, der als unangepasster FBI-Agent von seiner eigenen Institution an den Rand gedrängt wird. Beide wissen, dass sie sich noch so sehr anstrengen können, doch niemals die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. 

Das Bild der gesellschaftlichen, einsamen Außenseiter vervollständigt schließlich der Mörder, der in seiner Darstellung ebenfalls nicht atypisch gezeichnet ist und der, wenn wir dann endlich mit ihm konfrontiert werden, zu verstören weiß. Doch nicht, weil wir ihn als das ultimative Böse von uns abspalten können, sondern weil wir ihn als Teil von uns selbst erkennen und verstehen. Ein Mensch, dessen tiefe Verunsicherung ihn an der Welt zerbrechen ließ. Auf der visuellen Ebene wird diese Haltlosigkeit in unserer schnelllebigen Zeit mit kühlen und düsteren Bildern untermalt, die in den besten Momenten an Sieben erinnern und uns mit in die Dunkelheit ziehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/catch-the-killer-2023