Sterne unter der Stadt (2023)

Happy End im Untergrund?

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

„Sterne unter der Stadt" wohnt die Atmosphäre eines romantischen Großstadtmärchens inne – nur trägt es sich an einem ungewöhnlichen Ort zu: im Untergrund, genauer gesagt, in einer Wiener U-Bahn-Station. Chris Raiber kreiert in seinem Debütfilm eine boy-meets-girl-Geschichte, die recht klassisch anmutet: Ein schüchterner, schweigsamer Typ trifft auf eine fröhliche, energievolle Frau – doch einer gemeinsamen Zukunft liegen Hindernisse im Wege. Die in kräftige Farben getauchte und von einer Märchenonkelstimme im Off begleitete Liebesgeschichte punktet am ehesten durch entzückende Szenen, die stilistisch an Die fabelhafte Welt der Amélie erinnern.

Alexander (Thomas Prenn) ist bei seiner Großmutter (Margarethe Tiesel) aufgewachsen, nachdem sein Vater in den Untergrund gezogen war. Nach dem Tod seiner Frau hatte der Vater sich geschworen, in ihrer Nähe zu bleiben, erfahren wir vom Erzähler, während wir sehen, wie ein Sarg in einen tiefen Schacht unter der Erde gefahren wird. Alexander ging zu diesem Zeitpunkt einen Pakt mit sich selbst ein: Er will sich niemals verlieben, niemals den Boden unter den Füßen verlieren, niemals solches Leid erfahren, wie sein Vater es erfuhr. Doch als er bereits erwachsen ist, tritt auf einmal Caro (Verena Altenberger) in sein Leben und gegen die Liebe auf den ersten Blick kann seine bisherige Entschlossenheit nicht mehr ankämpfen.

Ein wenig erinnert Alexanders erster Blick auf Caro an Szenen aus American Beauty: Er filmt sie durch seinen Camcorder und zoomt aus der Ferne so nah an ihr Gesicht heran, dass er sie auch danach noch in romantisierter Stalker-Manier heimlich im Close-Up betrachten kann. Als Nächstes verfolgen seine Blicke sie über die Bildschirme der U-Bahn-Überwachung, die seine Kolleg*innen betreuen. Alexander entwickelt eine ungewöhnliche Art, Liebesbotschaften zu senden: Auf den Infoscreens an der Haltestelle spielt er einen selbstgemachten Trickfilm, der an Caro adressiert ist. Bald laufen sich die beiden über den Weg, flirten miteinander und eine positive Spannung baut sich auf. Doch dann gibt Caro zu verstehen, dass er sich lieber von ihr fernhalten solle. Warum, bleibt vorerst ein Rätsel. Alexander fügt sich seinem Schicksal, bis seine Angebetete plötzlich doch wieder lächelnd vor ihm steht.

Eine ungewöhnliche, erfrischende, bewegende Liebesgeschichte oder doch wieder das wohlbekannte Schema, das wir schon so oft gesehen haben? Während der Ablauf der zentralen Handlung recht vorhersehbar ist, lässt Sterne unter der Stadt immerhin Nebenfiguren auftreten und entspinnt Nebenplots, durch die unterschiedliche Aspekte von Liebe verhandelt werden sollen. Da wäre Alexanders Kollege im Fundbüro, der Perry Rhodan vergöttert, oder der Sicherheitsbeamte, der nachts arbeitet, weil ihm seine Freundin zu sehr klammert und er Zeit für sich selbst braucht. Trotzdem sind die meisten Figuren in Sterne unter der Stadt altbekannte Archetypen und symbolisieren einsame Gestalten, deren Vereinzelung gerade in den farbenfrohen Szenerien eine paradoxe Melancholie beiwohnt. Alexander und seine Großmutter holen sich durch Filmklassiker wie Der letzte Zug von Gunhill ein nostalgisch verklärtes Wohlgefühl zurück. Die Liebe zum Kino lässt Chris Raiber immer wieder in seinen Film miteinfließen, z.B. auch wenn Alexander den Infoscreen in ein nächtliches Kino am U-Bahn-Gleis verwandelt.

Ein Sujet, das sich durch den Film zieht, ist die nahe Verwandtschaft von Romantik und Tragik. Den Szenen und Figuren wohnt eine gewisse Rührseligkeit und Naivität inne. Echte Konflikte liegen so fern wie die Sterne der U-Bahn-Station Schottentor. Als Alexander erfährt, dass Caro schwer erkrankt ist und deshalb zu ihm auf Distanz gegangen war, kümmert er sich umso hingebungsvoller – und mit kreativen Ideen – um sie. Ob den beiden ein Happy-Märchen-End im Ober- oder Untergrund beschert sein wird? Auch das lässt sich schnell erahnen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sterne-unter-der-stadt-2023