Joan Baez - I Am A Noise (2023)

Das Öffentliche, das Private und das Geheime

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Leben, die Karriere und nicht zuletzt das politische Engagement der 1941 in New York City geborenen Folk-Musikerin und Aktivistin Joan Baez sind so reichhaltig und so beeindruckend, dass all das in keinem Film gänzlich abgebildet (und erst recht nicht in einer Filmbesprechung wiedergegeben) werden kann. 2009 drehte Mary Wharton bereits das dokumentarische Porträt „Joan Baez. How Sweet the Sound“ – und doch ist „Joan Baez I Am A Noise“ von Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle meilenweit davon entfernt, lediglich eine Wiederholung oder Ergänzung zu liefern.

Das Trio findet – wohl auch durch die langjährige Freundschaft einer der Regisseurinnen zu Baez – einen ganz eigenen Zugang. Zu Beginn heißt es, jede Person führe drei Leben: das öffentliche, das private und das geheime. Der Film gewährt Einblick in alle drei Sphären, die selbstverständlich nicht unabhängig voneinander existieren.

Zunächst einmal ist da der internationale Star Joan Baez, dessen Werdegang durch Archivmaterial nachgezeichnet wird. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den späteren Jahren. „Do you still have that?“, wird Baez in Bezug auf ihre einzigartige Sopranstimme in einer TV-Show gefragt. Ob ein Interviewer einer männlichen Gesangsikone ähnlich skeptisch, beinahe herablassend begegnen würde?

Wir sehen Baez mit einem Voice-Coach trainieren und begleiten sie auf späten Tourneen. Joan Baez I Am A Noise enthält uns natürlich auch die älteren Aufnahmen von ikonischen Momenten und Auftritten der Sängerin nicht vor – aber er macht deutlich, dass es weitergeht, dass der im Titel genannte „Lärm“, das „(Stör-)Geräusch“, das „Rauschen“ nicht verstummt, sobald ein Mensch ein gewisses Alter erreicht und deshalb vielleicht weniger in den Medien, in unserem täglichen Bewusstsein präsent ist. Baez ist noch da. Und bei aller Bescheidenheit, aller klugen Selbstreflexion, die Baez in den Talking-Head-Passagen des Films an den Tag legt, wollen wir sagen: „Yeah, she still has it!“

Baez’ unermüdlicher Einsatz als Bürgerrechtlerin, an der Seite von Martin Luther King im Kampf gegen die Rassentrennung und später gegen den Vietnamkrieg, gemeinsam mit dem Journalisten David Harris, mit dem sie einige Jahre verheiratet war und einen Sohn bekam, wird ebenfalls der nötige Raum gegeben. Wenn wir die junge Baez, die das Institute for the Study of Nonviolence mitbegründete, über ihr Streben nach einer gewaltlosen Welt sprechen hören, wird etwa in Anbetracht heutiger Fälle von Polizeigewalt offensichtlich, dass Baez’ Forderungen (leider) nichts von ihrer Dringlichkeit verloren haben. Bemerkenswert ist auch, wie sich Baez im Gespräch konsequent als Ally positioniert, statt ihre eigene Bedeutung hervorzuheben: Es gehe hier nicht um ihren Mut, sondern um den der unmittelbar Betroffenen, sagt sie, als sie über die Bürgerrechtsbewegung spricht.

Das Private wird wiederum unter anderem anhand der vorübergehenden Beziehung mit Bob Dylan verhandelt. In unserer jetzigen Medienwelt würde das Promi-Paar (Joan + Bob = Boan?) vermutlich auf Instagram etliche Follower:innen zum Jubeln und Schwärmen bringen. Baez redet wohlwollend über die Zeit, in der sie und Dylan einfach nur „kids together“ waren, äußert sich jedoch auch enttäuscht über die Entfremdung, die später einsetzte. Sie war kein Teil des Boys Club, der mit Drogen experimentierte – und deshalb irgendwann auch kein Teil des Lebens des zunehmend erfolgreichen Singer-Songwriters mehr.

Was schließlich noch bleibt, ist das geheime Leben. Das Regie-Trio arbeitet mit Animationen, um Tagebucheinträge aus Baez’ Kindheit und Jugend zu visualisieren. Das schwierige Verhältnis zu den Eltern, insbesondere zum Vater, und auch die durchaus ambivalenten Beziehungen zu den beiden Schwestern werden in Baez’ eigenen Worten beleuchtet. Baez spricht offen über psychische Probleme und betont dabei den Wert von Therapie. Die therapeutische Auseinandersetzung brachte bei ihr Verdrängtes zum Vorschein – und ermöglichte es Baez, in der Rückschau einiges besser zu verstehen und einzuordnen.

Wenn wir Baez am Ende des Films verlassen, nachdem wir sie beim Spaziergang mit Hund in der kalifornischen Sonne haben tanzen sehen, ist da neben tiefer Bewunderung vor allem große Dankbarkeit. Für alles, was sie getan hat. Und für alles, was sie bereit ist, zu teilen – aus allen drei Leben.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/joan-baez-i-am-a-noise-2023