Mad Fate (2023)

Änderst du dein Schicksal oder änderst du dich selbst?

Eine Filmkritik von Moritz Henze-Jurisch

Hongkong Regisseur Soi Cheang kehrt zur Berlinale zurück. Nachdem er in „Limbo“ (2021) die Weltstadt in einen dauerverregneten Vorort zur Hölle verwandelt hat, wird diese in seinem neuen Film „Mad Fate“ erneut von einem Serienmörder terrorisiert. Wieder steht ein ungleiches Duo im Vordergrund und wieder tötet der Mörder bevorzugt bei starkem Regen. Trotzdem ist „Mad Fate“ ein deutlich anderer Film geworden, der sich mit gänzlich anderen Themen beschäftigt und indem sogar die eigentliche Mörder-Hatz schnell zur Nebensächlichkeit wird. Denn die beiden Protagonisten bekämpfen noch etwas viel Größeres: ihr eigenes Schicksal.

Einer der Hauptprotagonisten hat keinen Namen und wird nur als „Der Meister“ (Lam Ka Tung) bezeichnet. Er ist spirituell bewandert und hellseherisch begabt. Anhand von allerlei esoterischen Symbolen kann er scheinbar das Schicksal von Menschen vorhersagen. Dabei fürchtet er sich vor allem vor seiner eigenen Zukunft. Da seine Eltern beide psychisch erkrankten und diese Krankheiten als vererbbar gelten, wurde dem Meister vorhergesagt, dass auch er mit dieser Tatsache zu rechnen habe.

Der andere Protagonist ist Siu Tung (Lokman Yeung), der als einzige Figur im Film einen richtigen Namen besitzt. Er hat seine Aggressionen nicht unter Kontrolle und zeigt sich oft gewaltbereit. Dieser Umstand brachte ihn sogar für einige Zeit ins Gefängnis, nachdem Siu Tung eine schwarze Katze tötete. „Der Veteran“ (Berg Ng), ein namenloser Polizist, verhaftete Siu Tung damals, weswegen dieser nun einen besonderen Groll gegen ihn hegt. Die grässlichen Taten des „Mörders“(Chan Charm Man Peter), welcher bevorzugt Sexarbeiterinnen ermordet, bringt schließlich unbeabsichtigt den Meister und Siu Tung zusammen.

Wer einen übernatürlich angehauchten Kriminalfilm im Sinne von Johnnie Tos (der bei Mad Fate auch als Produzent tätig war) Mad Detective (2007) erwartet, muss diese Haltung schnell überdenken. So eröffnet Mad Fate zwar mit einer längeren Mordsequenz, deren Fixierung auf Großaufnahmen von Messern und weit aufgerissenen Augen zwar eine gewisse visuelle Ähnlichkeit zu Dario Argentos Giallo-Filmen aufweist, letztendlich aber erstmal nur dazu dient, die Protagonisten aufeinandertreffen zu lassen.

Der Meister sieht das mögliche Schicksal von Siu Tung und prophezeit diesem, dass er jemanden töten wird. Im Anschluss entwickelt sich im Meister der Entschluss, das Schicksal von Siu Tung zu ändern. Bei diesem Vorhaben greift er auf die gesamte Palette an Aberglauben zurück. Angefangen beim Verzicht auf jeglichen Kontakt mit Feuer über das rituelle Platzieren eines mit Urin gefüllten Glas bis hin zum simplen Ausführen von selbstlosen Taten zum Gewinn von gutem Karma.

Das Handeln des Meisters ist dabei nicht ausschließlich selbstloser Natur. Verhindert er, dass Siu Tun zum Mörder wird, beweist er in seinen Augen auch, dass sich das Schicksal von Menschen ändern lässt und er somit nicht zwangsläufig wie seine Eltern psychisch erkranken muss. Wenn sich nun ausgerechnet zwei Filmfiguren gegen ihr vorherbestimmtes Schicksal zur Wehr setzen, ist die Ironie dabei offensichtlich. Schließlich wurde dieses schon tatsächlich lange zuvor durch das Drehbuch vorherbestimmt. Soi Cheang verzichtet dabei glücklicherweise auf jegliche offensichtliche Meta-Überlegungen, konfrontiert aber seine Zuschauenden mit einer Vielzahl von philosophischen Fragen und gibt seinem Film viel Raum für Interpretationen.

Dabei beweist er auch ein exzellentes Gespür für komödiantisches Timing und eine besondere Liebe für das Absurde, das Mad Fate zu einer durchgängig unterhaltsamen Seherfahrung macht. Dies ist durchaus notwendig, da das Handeln beider Hauptfiguren für einige Zuschauenden möglicherweise irrational wirken könnte und es keine wirkliche Identifikationsfigur gibt. Albern wird Mad Fate dabei allerdings nie. Das Thema Serienmörder oder Mord (im Allgemeinen) ist dafür viel zu unangenehm, und besonders im letzten Drittel wird der Film konsequenterweise auch zunehmend dramatischer, während sich der zentrale Konflikt des Films immer weiter zuspitzt. Letztendlich ist es nämlich egal, wie stark man nun an Schicksal bzw. Spiritualität glaubt: Der Kern des Films ist ohnehin eine zutiefst humanitäre Frage: Können sich Menschen ungeachtet von deren vorherigen Taten, ihrer Herkunft oder ihrem gesellschaftlichen Stand ändern?

So wird beiden Figuren von Kindheit an schon vorhergesagt, wie ihr Leben verlaufen wird. Der Versuch des Ausbruches aus diesen ungewollten Lebenserwartungen ist dabei eine universelle Botschaft, die Mad Fate letztendlich zu diesem düster-grotesken und gleichzeitig wunderbar lebensbejahenden Film macht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/mad-fate-2023