Die unlangweiligste Schule der Welt (2023)

Vom Mut, aus der Reihe zu tanzen

Eine Filmkritik von Falk Straub

Viele deutsche Filme trauen sich zu wenig. Sie erzählen, was das Publikum erwartet und sehen am Ende auch so aus. Mit Kinderfilmen verhält es sich zum Glück oft anders. Wo Sehgewohnheiten erst noch geformt werden müssen, scheint ein Spiel mit ihnen möglich. Ekrem Ergüns neuer Film ist das beste Beispiel. Seine Adaption des Auftaktbands aus Sabrina J. Kirschners erfolgreicher Kinderbuchreihe sprüht vor Einfallsreichtum und visuellem Witz. Kirschner ist bei dieser Abenteuerreise zudem selbst als Drehbuchautorin mit an Bord.

Bei der Vorlagengeberin ist Nomen Omen. Wie sein Nachname verrät, ist der kleine Maximilian (Lucas Herzog) gehörig auf Zack – handelt aber auch so überhastet, dass er seine Umgebung regelmäßig ins Chaos stürzt. Wo „Maxe“ hinlangt, steht am Ende kein Stein mehr auf dem anderen oder der Innenhof seines schnuckligen Elternhauses unter Wasser. Und schon das tanzt aus der Reihe, ist es mit seinen roten Backsteinen und dem spitzen Giebel doch die einzige Wohnstatt, die sich der einfallslosen Einheitlichkeit der übrigen Schuhschachtel-Siedlung entzieht.

Konformität und deren kreative Überwindung sind das bestimmende Thema dieses Films. Nirgendwo wird das so sichtbar wie in Maxes Schule, in der nicht nur ein Kasernenton vorherrscht, sondern für die allem Anschein nach auch das Gelände einer stillgelegten Kaserne als Drehort diente. Die Lernenden stehen und sitzen in ihren kleinen braunen Uniformen in Reih und Glied. Grau in Grau folgt hier alles strengster Symmetrie und Schuldirektor Schnittlichs (Max Giermann) geheiligtem Regularium, das jeglichen Spaß untersagt. Essen, lachen, ja selbst stolpern ist in dieser Lehranstalt verboten, was sie in Maxes Augen zur langweiligsten der Welt macht. Schlimmer noch: Sollte es Schnittlich gelingen, Herrn Motzkowski (Marco Hofschneider) vom Oberschulamt von seinem dicken Regelwerk zu überzeugen, würde es auf alle übrigen Schulen des Landes übertragen werden.

So viel Schnarchalarm ruft Rasputin Rumpus (Serkan Kaya), den Inspektor für Langeweilebekämpfung, auf den Plan. Qualmend und rumpelnd düst er mit einem Rennwagen auf Schienen an und wirbelt Schnittlichs Routine durcheinander. Denn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und unter Hausmeister Traufes (Oliver Korittke) skeptischem Blick schickt er Maxe und dessen Mitleidende auf Klassenfahrt. Lehrerin Penne (Felicitas Woll) ist überfordert und so sind Maxe, der überkorrekte Klassensprecher Karl (German von Beug), die schlaue und mutige Frieda (Erna Westphal), der schüchterne Pascal (Giorgio Perone), die starke Elinur (Nasya Azra Bozna), die ängstliche Suse (Leni Kramer) und Anton (Otto Emil Koch), der immer den Durchblick behält, alsbald auf sich allein gestellt. Um die Klassenfahrt zu überstehen und die Schulwelt vor Schnittlichs Regeln zu retten, müssen sie am Ende all ihre Fähigkeiten vereinen.

Die unlangweiligste Schule der Welt ist nicht nur einfalls- und abwechslungsreich erzählt, der Film zaubert auch visuell viel aus dem Hut. Wenn Rasputin Rumpus an der Seite von Schuldirektor Schnittlich dessen Regularium inspiziert, dann steht dieses dicke Buch in einer archivarischen Abstellkammer, die in ihrer einsturzgefährdeten Unordentlichkeit an kafkaeske Komödien wie Terry Gilliams Brazil (1985) erinnert. Eine übergroße Autoritätsperson wie Schnittlich hält seine Schulansprachen selbstredend von einem schwindelerregend hohen Katheder herab. Und Rasputin Rumpus' kleiner Lieferwagen, mit dem er Maxes Klasse auf große Fahrt schickt, offenbart in seinem Innern ungeahnt große Dimensionen. Hier haben alle Gewerke, allen voran die Kostümbildnerin Ramona Petersen, Szenenbildner Thomas Stammer, Maskenbildnerin Heidi Wick und Ausstatterin Lea Walloschke fantastische Arbeit geleistet.

Ergün und sein Team beweisen, dass ein bisschen mehr Mut, auch stilistisch aus der Reihe zu tanzen, sich am Ende auszahlt. (Dass man bei diesem Abenteuer nie weiß, welche außergewöhnliche Ansicht als nächstes um die Ecke biegt, tröstet auch über die wenigen erzählerischen Durchhänger hinweg.) Ohne ein überzeugendes Ensemble wäre all der detailverliebte Aufwand freilich vergebene Liebesmüh. Zum Glück kann sich der Regisseur nicht nur auf seine Nachwuchsdarsteller, sondern auch auf die Erwachsenen verlassen. 

Felicitas Woll fügt ihrer komödiantischen Seite ein oberlehrerinnenhafte Strenge hinzu. Im Vergleich zu seiner Rolle in einer anderen Literaturadaption, Isabel Bogdans Der Pfau (2023), wirkt Serkan Kaya als Inspektor für Langeweilebekämpfung wie ausgewechselt und beweist seine ganze Bandbreite. Und der aus dem Fernsehen und dort vor allem für seine kongenialen Promi-Parodien bekannte Max Giermann wiederum zeigt, dass auch ein Schauspieler in ihm steckt. Sein Schuldirektor Schnittlich ist in seiner Pedanterie eine Paraderolle für Giermann.

Dank des beherzten Eingreifens von Rasputin Rumpus kommt sukzessive Farbe in den grauen Schulalltag. Letzten Endes sind es jedoch Maxe & Co., die die lähmende Langeweile mit ihren eigenen Ideen überwinden. Daran können dann auch die Erwachsenen im Kinopublikum, von denen wohl die meisten todlangweiligen Frontalunterricht erdulden mussten, andocken. So viel Fantasie wie in diesem Film gezeigt würde mancher Schule, aber auch manchem Film für ein erwachsenes Publikum guttun.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-unlangweiligste-schule-der-welt-2023