Gletschergrab (2023)

Eiskalter Kaffee

Eine Filmkritik von Falk Straub

Tiefgefrorene Nazis im skandinavischen Schnee – das lässt an den Film „Dead Snow“ (2008) des Norwegers Tommy Wirkola denken. Wirkolas isländischer Kollege Óskar Thór Axelsson hat mit „Gletschergrab“ allerdings keine bluttriefende Horrorkomödie inszeniert, sondern einen eiskalten Thriller.

Ein Widerspruch skandinavischer Völker: So sicher wie in ihren Staaten geht es fast nirgends auf der Welt zu, in ihren Krimis wird indes gemordet, was das Zeug hält. Die Bücher von Jo Nesbø, Arne Dahl, Håkan Nesser und Jussi Adler-Olsen, um nur ein paar der bekanntesten Autoren zu nennen, verkaufen sich wie geschnitten Brot – und sind als Vorlagenstoffe beliebt. Ihr isländischer Kollege Arnaldur Indriðason genießt zwar nicht denselben Stellenwert, hat von seinen Romanen, die in 40 Sprachen übersetzt wurden, aber auch schon Millionen Exemplare verkauft. Neben seiner beliebten Krimireihe über die Mordkommission in Reykjavík schreibt Indriðason auch Thriller. Einer davon wurde jetzt verfilmt und ist dem Handlungsort entsprechend cool in Szene gesetzt.

Eine Entdeckung im Eis bringt alles ins Rollen. Während eines Ausflugs auf den Vatnajökull, Europas größten Gletscher außerhalb des Polargebiets, stolpert der junge Elías (Atli Óskar Fjalarsson) mit zwei Bekannten über ein abgestürztes Flugzeug, das die Sonne freigeschmolzen hat: eine Junkers, auf deren Heck ein Hakenkreuz prangt. An Bord befinden sich nicht nur tiefgefrorene Nazis, sondern auch ein amerikanischer Pilot, was die CIA unter Führung des undurchsichtigen William Carr (Iain Glen) auf den Plan ruft. Welches Geheimnis auch immer hier seit 1945 im Eis schlummert, es soll dort begraben bleiben. Lästige Zeugen landen kopfüber in der Gletscherspalte – ein Todesurteil, das auch Elías droht. Doch zum Glück hat er eine ältere Schwester, die ihm zu Hilfe eilt.

Auftritt: Kristín (Vivian Ólafsdóttir). Dass die Dame tough ist, macht Marteinn Thorisson in seinem Drehbuch von Anfang an klar. Noch bevor Elías auf dem Gletscher Bekanntschaft mit Carrs Folterknecht Julie Ratoff (Adesuwa Oni) macht, kanzelt Kristin in einem Meeting den Geschäftsmann Runólfur (Hjörtur Jóhann Jónsson) ab. Der möchte einen Kredit von der Bank, für die Kristín arbeitet, doch die Datenanalystin lässt sich von Runólfurs aufgehübschten Zahlen nicht blenden. Noch am selben Abend liegt er tot in Kristíns Küche. Eigentlich schneite Runólfur nur kurz rein, um Kristín mit einer Flasche Wein unter dem Arm doch noch von einer Kreditvergabe zu überzeugen. Doch dann klingelt unvermittelt auch Carrs Scherge Simon (ausgerechnet: Wotan Wilke Möhring) an der Tür. Beim Versuch, Kristín den Garaus zu machen, bläst er kurzerhand Runólfur die Lichter aus – und die Hatz beginnt.

Auf dem Papier hat Gletschergrab alles, was es für einen guten Thriller braucht: eine potenzielle Verschwörung historischen Ausmaßes, eine entschlossene Heldin, einen übermächtigen Gegner und eine atemberaubende Kulisse, vor der sich alles abspielt. Regisseur Óskar Thór Axelsson ist zudem kein Unerfahrener im Spannungssektor. Der 1973 geborene Isländer hat schon bei Filmen wie dem Horror-Mystery-Drama I Remember You (2017) und bei Serien wie Himmelstal, Riviera und Stella Blómkvist Regie geführt. Bei Gletschergrab arbeitet er mit einem Cast zusammen, den er zu großen Teilen von früheren Projekten kennt. Leider stellt das eingespielte Team nur mediokre Thriller-Ware her.

Visuell bleibt Axelssons jüngster Film selbst hinter den von ihm gedrehten Serien zurück. Und auch das Schauspiel lässt zu wünschen übrig. Wotan Wilke Möhring beweist einmal mehr, dass er wenig mehr beherrscht, als seinen Text aufzusagen. Als furchteinflößender Verfolger ist er fehlbesetzt – und damit nicht der Einzige. Auch Hauptdarstellerin Vivian Ólafsdóttir ist sichtlich überfordert und froh, dass ihre Figur nach der Exposition mit dem von Jack Fox verkörperten Historiker Steve Rush einen charismatischen Sidekick in ihrer Nähe weiß. Neben dem schätzungsweise überschaubaren Budget, das solide, aber auf der großen Leinwand nur in Ansätzen überzeugende Actionszenen zur Folge hat, ist das Drehbuch dieser in Nordrhein-Westfalen und vor Ort in Island gedrehten deutsch-isländischen Co-Produktion das größte Problem. 

Marteinn Thorisson (Niko – Ein Rentier hebt ab, Ooops! Die Arche ist weg...), der seine Karriere im Kinderfernsehen und mit Kinderfilmen begann und bis heute in diesem Bereich als Drehbuchautor tätig ist, ist zwar kein Neuling auf dem Thriller-Terrain. Für die Adaption von Indriðasons Roman, der im Original übrigens "Napóleonsskjölin" heißt, was so viel wie "Die Napoleon-Papiere" bedeutet, verlässt er sich aber zu sehr auf Zufälle. Um die Handlung ohne Unterbrechung voranzutreiben, reiht sich eine Ungereimtheit an die nächste. Droht ihr doch einmal die Luft auszugehen, taucht selbstredend Häscher Simon aus dem Nichts auf, um die Protagonisten abermals aufzuscheuchen. 

Das ist zwar atemlos, wechselt dabei allerdings auch mehrfach die Tonlage. Mit einer von Annette Badland gespielten schießwütigen Rentnerin und dem lakonischen Landwirt Einar (Ólafur Darri Ólafsson) halten urplötzlich komödiantische Elemente Einzug, die zum bis dahin gesetzten Ton nicht recht passen wollen. Das Ende, das eine mögliche Fortsetzung anteasert, nimmt sich dann völlig wie eine Abenteuerkomödie aus. Der eingangs eiskalte Thriller gerät zur lauwarmen Actionklamotte, bleibt durch all die bekannten Versatzstücke insgesamt aber kalter Kaffee.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/gletschergrab-2023