Past Lives - In einem anderen Leben (2023)

Einfach mit dir reden

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Es beginnt in einer Bar in Manhattan. Ein Mann und eine Frau aus Südkorea und ein US-Amerikaner sitzen am Tresen. Aus dem Off hören wir zwei Personen, die sich fragen, in welcher Beziehung dieses Trio wohl zueinander steht. Sind die beiden asiatischstämmigen Leute ein Paar – und ist der Dritte ihr Kumpel? Oder ist der südkoreanische Mann der Alleinstehende in dieser Konstellation? Sind womöglich alle drei „nur“ freundschaftlich oder durch ihren Job miteinander verbunden? Die Frau wendet ihren Blick direkt in die Kamera, als wolle sie dem verborgenen rätselnden Duo und uns als Publikum sagen: „Na gut, ich erzähle euch unsere Geschichte!“

Und prompt macht der Film einen Zeitsprung von 24 Jahren. Wir sind in Seoul. Na Young (Seung Ah Moon) und Hae Sung (Seung Min Yim) gehen zur Schule und führen eine sehr enge Freundschaft. Doch dann wandert die Familie von Na Young nach Kanada aus. Ein neues Land, eine neue Sprache, ein neuer Name – ein rundum neues Leben. Erst ein Dutzend Jahre später treten Na Young, die sich inzwischen Nora (Greta Lee) nennt, und Hae Sung (Teo Yoo) wieder in Kontakt miteinander. Nora ist als Autorin in New York City tätig; Hae Sung studiert in seiner Heimatstadt Maschinenbau.

Das Filmdebüt der Drehbuchautorin und Regisseurin Celine Song trägt autobiografische Züge – und dies mag einer der Gründe sein, weshalb sich Past Lives – In einem anderen Leben durchweg so wahrhaftig anfühlt. „Wow“, stellen Nora und Hae Sung gleichermaßen fest, als sie sich nach mehr als einer Dekade auf ihren Bildschirmen bei einem ersten Videotelefonat wiedersehen. Es gelingt Song, glaubhaft die seltsame Mischung aus Nähe und Distanz zu vermitteln, die sich bei virtuellen Gesprächen einstellen kann.

Wir erleben mit, wie Nora und Hae Sung ihre besondere Bindung in vielen Videokonferenzen erneuern. Mal schauen sie gemeinsam Filme, mal friert das Bild im ungünstigsten Augenblick ein, mal drückt die Zeitverschiebung gehörig auf die Stimmung. Es sei schön, einfach mit ihr zu reden, meint Hae Sung. Doch die Sehnsucht nach einem „echten“ Treffen wird immer größer. Da dieser Wunsch an der Realität scheitert, bricht der Kontakt abermals ab. Zwölf weitere Jahre vergehen. Nora heiratet den US-Schriftsteller Arthur (John Magaro). Dann kündigt Hae Sung einen Besuch in New York an.

Hier scheint sich nun ein Dreiecksdrama mit all den bekannten Klischees um Verheimlichung und Rivalität aufzubauen. Past Lives unterläuft diese Erwartungen indes auf ganz unaufgeregtem und stillem Wege. „Was soll ich tun? Was soll ich sagen?“, fragt Hae Sung beim ersten Wiedersehen mit Nora in der Gegenwart. Ebenso wie Nora und Arthur befolgt er nicht die gängigen Regeln eines Liebesfilms über eine Frau zwischen zwei Männern. Er will Nora nicht verführen, er will keinen Keil zwischen das Ehepaar treiben. Arthur wiederum analysiert seinen Part in dieser Situation ganz fachmännisch: Ist er der langweilige Gatte, der die beiden füreinander bestimmten Liebenden von ihrem Glück abhält? Doch so einfach ist es nicht. Und auch er verhält sich nicht so, wie es ein stereotyp gezeichneter eifersüchtiger Partner tun würde.

Die drei Figuren in Past Lives sind erstaunlich ehrlich zueinander. Sie bemühen sich, sich nicht von Ideen wie Schicksal und Fügung, die in alten und neuen Geschichten überhöht und romantisiert werden, blenden zu lassen. Der Film ist emotional – aber auf eine bemerkenswert erwachsene Art und Weise. Eine Kindheitsliebe ist etwas Kostbares, eine stabile Ehe allerdings ebenso. Das eine entwertet das andere nicht; beides kann nebeneinander existieren – und kann in dieser Koexistenz sogar die vermeintlichen Gegner Hae Sung und Arthur einander nahebringen. „Es tut sehr weh, ihn zu mögen“, gesteht Hae Sung an einer Stelle. Was für ein toller, rührender Satz! Die Sprachbarriere, die zwischen den zwei Männern besteht, wird derweil nicht zu einer Hürde, sondern zu einer Möglichkeit, einander Respekt zu zeigen.

Mit ihrem Kameramann Shabier Kirchner findet Song wunderbare Motive, die den Charakter der Hauptfiguren unterstreichen. Sie hat ein Gespür für Momente des Innehaltens – wenn es keine Worte gibt, die angemessen erscheinen. Sie gibt Details Raum, und sie macht klar, wie angenehm es ist, wenn die vorhergesagten starken Unwetter mal kurz ruhen, um eine Fahrt mit der Fähre zu unternehmen oder um sich auf der nächtlichen Straße im East Village in die Augen zu sehen. Das Ende ist, je nachdem, eines der schönsten Unhappy Ends oder eines der traurigsten Happy Ends der Kinohistorie.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/past-lives-in-einem-anderen-leben-2023