Sara Mardini - Gegen den Strom (2023)

Seenotretterin unter Anklage

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Bootsflüchtlinge bringen es als Individuen nur selten zu internationaler Berühmtheit. Die 20-jährige Sara Mardini und ihre drei Jahre jüngere Schwester Yusra sorgten jedoch für Schlagzeilen, als sie mit 18 weiteren Passagieren eines defekten Schlauchboots 2015 die griechische Insel Lesbos erreichten. Denn die beiden syrischen Leistungsschwimmerinnen waren, als der Motor des in der Türkei gestarteten Boots ausfiel, mutig ins Wasser gesprungen und hatten das vom Kentern bedrohte Gefährt dreieinhalb Stunden lang in Richtung Lesbos geschoben und gezogen. Einladungen zu Vorträgen auf der ganzen Welt, ein Bambi in der Kategorie Stille Helden, das Netflix-Drama „Die Schwimmerinnen“ von 2022 folgten. Yusra sprach 2016 auf Einladung des US-Präsidenten Obama vor der UN-Vollversammlung und wurde im Jahr darauf jüngste Botschafterin der Flüchtlingsorganisation UNHCR.

Die in London lebende Dokumentarfilmerin Charly Wai Feldman porträtiert Sara Mardini, die sich zur Aktivistin der Seenotrettung entwickelt hat. Anders als Yusra, die an den Olympischen Spielen 2016 und 2021 teilnahm und die im Film ebenfalls zu Wort kommt, musste Sara ihren Traum vom Olympiagold und überhaupt vom Leistungsschwimmen wegen einer Verletzung begraben. Sie ging zurück auf die Insel Lesbos, um bei einer griechischen NGO, die sich mittlerweile aufgelöst hat, ehrenamtlich als Rettungsschwimmerin und Dolmetscherin mitzuarbeiten. Manchmal verteilte sie auch nur Decken und Trinkwasser an Migranten, die das rettende Ufer erreichten. „Ich habe gemerkt, dass in mir eine Kämpferin steckt“, sagt sie im Film.

Das wurde Sara Mardini zum Verhängnis. Im August 2018 landete sie mit dem Iren Seán Binder und anderen Aktivist*innen in einem griechischen Gefängnis, aus dem sie erst Monate später, im Dezember, auf Kaution freikam. Die griechischen Behörden klagten insgesamt 37 NGO-Aktivist*innen krimineller Handlungen wie Schleusung, Geldwäsche, Spionage an. Erneut geriet Sara Mardini so ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Diesmal als eine der vielen humanitären Helfer*innen, die im Zuge einer restriktiveren Flüchtlingspolitik in Griechenland kriminalisiert wurden, um private Seenotrettung zu unterbinden.

Die Strategie hatte durchaus Erfolg: Auf Lesbos gibt es, wie Seán Binder im Film sagt, keine Seenotretter*innen mehr, „die Angst hat alle vertrieben“. Mardini bekam zusätzlich ein Einreiseverbot nach Griechenland, das bis 2025 gilt. Die dortigen Behörden setzen offenbar auf Zermürbungstaktik, denn die Ermittlungen gegen die Angeklagten laufen weiter und sie könnten zu bis zu 20 Jahren Haft verurteilt werden. Anfang 2023 wurde lediglich ein Teil der Anklage – derjenige wegen minderschwerer Straftaten – gerichtlich zurückgewiesen.

Feldman dokumentiert in ihrem Film mit Texteinblendungen, wie die für Sara Mardini nervenzehrende Wartezeit verstreicht. Seit 11, seit 15 Monaten und so fort ist sie, so steht es zu lesen, zwar frei, aber mit dem Zusatz „auf Kaution“. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis und der Rückkehr nach Berlin habe sie sich sehr unter öffentlichem Erwartungsdruck gefühlt, sagt Mardini im Film.

Inwiefern dieser Druck selbst gemacht war oder tatsächlich bestand, wird offengelassen. Mardini erwähnt, dass die hohen Anwaltskosten ihres Prozesses nur dank helfender Organisationen gestemmt werden können. Der Dokumentarfilm zeigt, wie sie und Seán Binder für eine Kampagne von Amnesty International fotografiert werden. In Interviews werden beide nicht müde zu betonen, dass es illegal und unmoralisch sei, Menschen ertrinken zu lassen. Die lebhafte Sara wirkt im Film oft rastlos, einmal ist von einer ADHS-Störung die Rede, vor allem aber wird ihr eine Depression und eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert. Sie begibt sich in Therapie, bricht ihr Studium in Berlin ab.

Als wollte er die Unruhe seiner Protagonistin aufgreifen, springt der Film in seiner Montage zwischen den Zeiten, von Archivaufnahmen über Seenotrettung oder das brennende Flüchtlingslager Moria zu inszenierten, wiederkehrenden Szenen mit einer Schwimmerin, die in einem Schwimmbecken ihre Runden – oft in Zeitlupe und die Zeit in ästhetisch-kontemplativen Bildern visualisierend – zieht. Sara wirkt insgesamt recht distanzlos porträtiert, fast schon als sei der Film selbst aktivistisches Propagandamaterial.

Wie sehr sie unter dem zermürbenden Warten auf den Prozess leidet und mit ihrem Engagement an die eigenen Grenzen gerät, schildert Feldman zwar glaubhaft, aber eher in der Art eines langen Videoclips, als näher nachzuforschen und echte Neugier auf die Person zu entwickeln. Wenn Sara einmal vor städtischer Kulisse vor der sich drehenden Kamera wie selbstvergessen tanzt, wirkt die vorbereitete Szene ziemlich aufgesetzt.

Trotz dieser Mängel gelingt es Feldmans Film zu zeigen, dass die idealistische Aktivistin für ihr humanitäres Engagement einen hohen persönlichen Preis zahlt. Und die Zuschauer*innen werden implizit daran erinnert, dass die moralische Pflicht, Geflüchtete in akuter Lebensgefahr zu retten und zu versorgen, auch dann besteht, wenn ihnen Europa kein dauerhaftes Bleiberecht einräumen will.

 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sara-mardini-gegen-den-strom-2023