Opponent (2023)

Sie küssten und sie schlugen ihn

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

„Motståndaren“ - so der Originaltitel von "Opponent" - ist Schwedisch für „Gegner“. Hauptfigur des Films ist Iman, der mit seiner Familie aus dem Iran geflohen ist. Gegner hat er viele: den Asylkampf, die Verantwortung für seine Familie und seine internalisierte Homophobie. Nur langsam offenbart der Film all diese Dinge, mit denen seine schweigsame Hauptfigur ringt.

Diese schweigsame Hauptfigur wird gespielt von Payman Maadi, bekannt unter anderem aus Filmen von Asghar Farhadi wie dem Oscar-prämierten Nader und Simin - Eine TrennungMilad Alami, Regisseur von Opponent, lebt in Dänemark und war selbst einst in Geflüchtetenunterkünften in Nordschweden untergebracht, nahe den Drehorten seines Films. Die Landschaft dort ist ebenso winterlich-schön wie eisig-unerbittlich. „In ein paar Stunden wird man ihre erfrorenen Körper finden“, sagt Iman zu Beginn des Films zu seiner Frau Maryam (Marall Nasiri). Die beiden beobachten durchs Fenster eine Familie, die die Unterkunft verlassen hat und ins verschneite Unbekannte wandert, weil sie am nächsten Tag abgeschoben werden soll.

Iman war im Iran Profiringer. Ringen ist dort ein Volkssport und stark mit patriarchaler Männlichkeit assoziiert. Milad Alami dekonstruiert in Opponent diese Männlichkeit. Sein Film beginnt mit einer Gewaltsequenz, in der Iman einen Teamkollegen brutal zusammenschlägt. Später erfahren wir aber, dass Iman sich mit diesem Kollegen wohl romantisch oder sexuell nähergekommen war und dieser dann aus Angst zur Sittenpolizei ging. Homosexuelle Handlungen werden im Iran mit der Todesstrafe bestraft – deshalb mussten Iman und seine Familie fliehen. Das Gefühl, gejagt zu sein, das Gefühl einer Dunkelheit, die sich im Rücken ausbreitet, setzt Milad Alami bildsprachlich um: Ein Wolf mit blutiger Schnauze ist in den Wäldern unterwegs, und ständig fällt der Strom aus.

Iman nimmt in Schweden wieder seine Ringertätigkeit auf. Dabei wird er erneut mit seiner unterdrückten homosexuellen Lust konfrontiert, als er auf den schwedischen Kollegen Thomas (Björn Elgerd) trifft. Die lustvollen Momente, die beim Training stattfinden, sind schön inszeniert: mit extremen Nahaufnahmen der sich berührenden Körper. Einem im Iran arbeitenden Filmemacher wären solche Sequenzen nicht möglich, und sie bilden einen Kontrast zum Rest des Films, der die nordschwedische Umgebung teils Horrorfilm-artig in Szene setzt.

Obwohl er nicht mehr im Iran ist, kann Iman seine Sexualität schwer ausleben. Man kann spüren, dass er auf Grund seines Aufwachens und aufgrund des traumatischen Endes seiner letzten Beziehung zu einem Mann mit internalisierter Homophobie zu kämpfen hat. Das ist aber nicht das einzige Hindernis: Mit seiner Familie bildet er eine Krisengemeinschaft, die noch dazu auf engstem Raum zusammenleben muss. Durch Imans Lügen und seine zunehmende Distanz wird dieser Raum nur noch enger und unangenehmer.

Das Lügen und das Schweigen sind zentrale Motive in Opponent. Den Behörden sagt Iman, sein Teamkollege habe ihn als regimekritisch angeschwärzt. Auch mit Maryam kann er über seine Lust nicht sprechen, obwohl zunehmend deutlich wird, dass sie gut Bescheid weiß. Schlechte Kommunikation zwischen Charakteren kann oft frustrierend sein, wenn man ein Drama sieht. Hier steht sie aber für einen antrainierten Überlebensmechanismus der Menschen, die unter der Sittendiktatur des Iran aufgewachsen sind: lügen, den Schein wahren, Fassaden aufrechterhalten.

Weil Iman sich nicht einmal mit seiner eigenen Ehefrau aussprechen kann, will sie die Familie trennen und ohne ihn in den Iran zurückzukehren. Man sieht das selten im Kino, obwohl es für viele Geflüchtete Realität ist: dass die ach so tollen Freiheiten und Aufstiegschancen des globalen Nordens eben nicht für alle greifen, vor allem wenn Bildungsabschlüsse nicht anerkannt werden oder gar keine Arbeitserlaubnis besteht während des nie enden wollenden Kampfs ums Aufenthaltsrecht. Maryam war im Iran Klavierlehrerin. Nun hat sie das Gefühl, auf eine traditionelle Hausfrauenrolle zurückgeworfen zu sein und sich selbst zu verlieren.

Dass der Regisseur selbst eine Fluchtgeschichte hat, merkt man auch an einer liebevollen Sequenz, in der die verschiedenen Bewohner*innen der Unterkunft in dokumentarisch anmutenden Porträteinstellungen gezeigt werden. Auch der Klassenunterschied zwischen Iman und dem schwedischen Ringerkollegen, dem er körperlich näherkommt, ist ein Thema. Einmal machen Iman und seine Familie einen Ausflug in eine gutbürgerliche Wohngegend, und auch Thomas wohnt dort. In einer Traumsequenz zieht die Familie dann in eines dieser Häuser ein, streift sich die Pyjamas, die Einrichtung, den Lebensstil der schwedischen Mittelklasse über wie ein Cosplay.

Schon in seinem Debütfilm Der Charmeur beschäftigte Milad Alami sich mit Männlichkeit, Gewalt und dem Kampf um ein Aufenthaltsrecht. Durch Genrefilm-Anleihen in der Bildsprache und durch seine besonderen Sujets – damals ein Gigolo, nun ein Ringer – gelingen ihm besonders komplexe Migrationsdramen. So auch hier.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/opponent-2023