Passages (2023)

Die spitzen Ecken eines Dreiecks

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Martin liebt Tomas. Agathe liebt Tomas ebenfalls. Und Tomas liebt sowohl Martin als auch Agathe, vor allem aber sich selbst. Aus dieser amourösen Konstellation holt der 1965 in Memphis, Tennessee geborene Drehbuchautor und Regisseur Ira Sachs in rund 90 Filmminuten so viel Schmerz hervor, bis überall die Scherben gebrochener Herzen herumliegen: im schicken Appartement, im Treppenhaus, im Café, im Schulflur und auf den Straßen von Paris.

Bereits in Keep the Lights On (2012) erwies sich Sachs als genauer Beobachter von Beziehungen im urbanen Raum. Während er darin ein schwules Paar in New York City über fast eine Dekade hinweg begleitete, wirft er nun in Passages einen sehr konzisen Blick auf das Eheleben des deutschen Filmemachers Tomas (Franz Rogowski) und des britischen Grafikers Martin (Ben Whishaw), die in der Hauptstadt Frankreichs ein Bohemian-Dasein führen.

Bei der Abschlussparty seiner Dreharbeiten lernt Tomas die französische Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos) kennen. Aus einem Tanz wird ein One-Night-Stand, den Tomas vor Martin gar nicht erst zu verheimlichen versucht. „Ich hatte Sex mit einer Frau“, sagt er ohne Umschweife – doch Martin scheint ihm zu verzeihen. Die Affäre setzt sich allerdings fort – und schon bald packt Tomas seine Kisten, um zu Agathe zu ziehen.

Damit hört das Liebeskarussell indes noch lange nicht auf, sich wild zu drehen. Während sich Martin nach der Trennung von Tomas dem jungen Schriftsteller Amad (Erwan Kepoa Falé) zuwendet, will Tomas plötzlich zurück zu ihm. Auch die Möglichkeit einer Ménage-à-trois zwischen den (Ex-)Ehemännern und Agathe flammt kurzzeitig auf, bis sie prompt wieder an der Realität scheitert.

Es ist wahrlich nicht leicht, diesen drei Menschen zuzusehen. Tomas wird bereits in der Eröffnungssequenz am Set seines Films als eine Person charakterisiert, die von Anspannung umgeben ist. Sein schnell gereizt wirkender Tonfall und die Unruhe in seiner Arbeitsweise spiegeln sich in der Abruptheit, mit der er im Privatleben Entscheidungen trifft, ohne auf die Gefühle von Martin und Agathe Rücksicht zu nehmen.

Sachs, der das Skript gemeinsam mit Mauricio Zacharias verfasst hat, scheint es nicht darum zu gehen, Tomas moralisch zu beurteilen. Weder wird dessen Verhalten beschönigt oder romantisiert, noch wird die Figur vorgeführt. Vielmehr wird gezeigt, wie Liebende – in diesem Fall Martin und Agathe – auch schwere seelische Verletzungen zu ertragen versuchen, weil es ihnen schwerfällt, das vermeintliche Glück einer Beziehung endgültig aufzugeben. Rogowski, Whishaw und Exarchopoulos erweisen sich in dieser Emotionsschlacht als virtuose Kampftruppe.

Mit seiner Kamerafrau Josée Deshaies gelingen Sachs ganz außergewöhnliche Momente der Intimität, die niemals voyeuristisch geraten. Der (Film-)Sex mutet nicht künstlich an, sondern bringt uns die Figuren tatsächlich näher, statt sie zu Schauobjekten zu machen. In den Dialogen blitzt derweil ein unfassbar böser Witz auf, der Passages zuweilen zu einer tiefschwarzen Sittenkomödie macht. Wenn Tomas mit Agathes Eltern am Tisch sitzt und das intendierte Kennenlernen beim gemütlichen Abendessen völlig eskaliert oder wenn eine Szene in einer Schule, die in einer schlechten RomCom gewiss zur kitschigen Versöhnung führen würde, in deutlicher Zurückweisung mündet, findet Sachs stets die perfekte Balance aus lebensnahem Drama und maliziösem Humor.

Dies lässt unter anderem an Rainer Werner Fassbinder denken, insbesondere an Faustrecht der Freiheit (1975), und an diverse Vertreter des französischen Kinos, etwa an Maurice Pialat mit seiner rauen Beziehungsbetrachtung in Werken wie Auf das, was wir lieben (1983). Wir schauen in Passages Leuten dabei zu, die Fehler begehen und sich Situationen aussetzen, die ihnen offensichtlich nicht guttun. Das ist hart, teilweise tragikomisch – und sehr echt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/passages-2023