Letzter Abend (2023)

„Alles gut!“

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Wenn Menschen fessellos aufeinander losgelassen werden, dann kann das ziemlich witzig sein. Solange man nicht Teil jener ist, die da einander zerfleischen unter der dünnen Firnis der Freundlichkeit. "Letzter Abend" zeigt eine kleine Abschiedsparty, weil Lisa (Pauline Werner) und ihr Freund Clemens (Sebastian Jakob Doppelbauer) von Hannover nach Berlin ziehen werden. Lisa wird als Neurologin an der Charité anfangen – ein großer Neubeginn, mitten im Pandemiesommer, kurz nach dem Lockdown, in einer Zeit, in der vieles so scheiße ist.

"Alles gut!" - mantraartig beschwichtigt Clemens, wenn irgendwas potentiell Negatives auftaucht. Am Anfang spielt er Gitarre, einen Blues für Lisa, er will sie damit überraschen. Eigentlich soll er endlich das Bücherregal ausräumen, der Umzug steht an. Außerdem müssen Einkäufe reingebracht werden, die Lasagne muss zubereitet werden, das Mehl fehlt. Außen vor der Tür steht eine Fremde, sie muss ihren Akku aufladen. Die Lasagne misslingt, der Lieferbote muss dringend aufs Klo, Kartenzahlung geht leider nicht, den ganzen Tag hat er noch nicht gestuhlt, der Boden ist nass, beim Griff zum Handtuch zerbricht etwas. Irgendwas ist immer, und was Gutes kommt selten raus.

Sebastian Jakob Doppelbauer hat auch das Drehbuch mitgeschrieben, zusammen mit Regisseur Lukas Nathrat, beide haben auch den Film produziert – eine flotte Komödie, die im Sommer spielt, aber nur wenig freie Fröhlichkeit ausstrahlt. Clemens geht offen damit um, mit der Therapie, mit den Antidepressiva, die er nimmt. Das schützt ihn nicht davor, dass sein Schwager Aaron (Valentin Richter) sich über ihn lustig macht, seinen Blues veräppelt, oder dass Jan (Julius Forster), Ex-Kommilitone von Lisa und heftiger Rivale in Liebesdingen, ihn als "Scheiß-Psycho" beschimpft.

Doch in Depressivität verfällt der Film nicht, auch wenn er irgendwo tief drin die Traurigkeit schildert: Vielmehr gelingt es, ganz sachte alles eskalieren zu lassen. Die Absagen für die abendliche Feier kommen tröpfchenweise, alle wollen irgendwas von einem, und dass Lisas beste Freundin auch zehn Jahre nach dem Abi noch nicht weiß, ob der neueste Umschwung zur Heilpraktikerin vielleicht der richtige Schritt ist, ist auch kein gutes Omen.

Trotzdem muss natürlich gute Laune sein an diesem Abend, auch wenn’s ein Abschied ist. Die Nachbarin von obendrüber, die beim Aushelfen mit Mehl das Paar erstmals seit überhaupt zu Gesicht bekommen hat, lädt sich ein, ebenso Katharina, die mit dem leeren Handy-Akku. Die gelieferten Nudeln schmecken nicht, dafür hat Marcel Döner dabei. Der ist sowieso eine Nummer für sich, Österreicher und Skandalperformer am Staatstheater, wo er wegen nackter Übergriffigkeit rausgeschmissen wurde. Lustig sind sie alle, wenn sie die Österreicher nachmachen, ah, die Gemütlichkeit der Wiener, und braun sind sie da ja auch alle. Aus Smalltalk wird Großbeleidigung, ohne dass die Gäste es so richtig merken. Und wie nebenbei kommt die nächste dicke Peinlichkeit daher.

Der Film wirkt halb improvisiert, innerhalb einer Woche gedreht, mit Dialogen, die auf den Punkt kommen und sich doch ganz lebensecht überlappen. Sehr schwungvoll, sehr energisch geht das voran, jeder Satz sitzt und kommt doch wie grade aus dem Stegreif daher. Das macht großen Spaß – und ist halt doch merklich melancholisch. Und das Bücherregal ist immer noch nicht ausgeräumt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/letzter-abend-2023