Beau Is Afraid (2023)

Mutter essen Seele auf

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Familiäre Schlachtfelder und toxische Beziehungen scheinen den Filmemacher Ari Aster besonders zu reizen. Sowohl in seinem Debütwerk „Hereditary – Das Vermächtnis“ als auch in seiner zweiten Regiearbeit „Midsommar“ taucht er tief in zwischenmenschliche Abgründe ein. Schrecken entsteht in beiden Fällen nicht bloß aus schockierenden Effekten, sondern aus einem destruktiven Miteinander, aus den Verletzungen, die sich die Figuren, ob gewollt oder ungewollt, zufügen. Diesen Faden nimmt Aster auch in seiner dritten Leinwandproduktion auf, einem mit Größenwahn infizierten dreistündigen Seelentrip, der uns viel zum Staunen und Grübeln mitgibt. „Beau Is Afraid“ hat seine Macken, legt aber, gerade für einen US-Film, eine kreative Lust und einen Wagemut an den Tag, dass man über Mängel bereitwilliger hinwegsehen kann.

Vergleichen lässt sich der auf einen Kurzfilm Asters zurückgehende Mix aus Horror, Psychodrama und schräger Komödie ein wenig mit Darren Aronofskys gruselig-allegorischem Geschlechterkampf mother!, dem 2017 nach seiner Premiere in Venedig keineswegs alle Sympathien zuflogen. Prallgefüllt mit Anspielungen, Verweisen und religiösen Symbolen sorgte der stargespickte, konventionelle Sehgewohnheiten unterlaufende Streifen für kontroverse Diskussionen. Selbst Kritiker*innen dürften allerdings unterschreiben, dass dem Regisseur zahlreiche sich einbrennende Bilder gelungen waren. Ähnlich verhält es sich mit Asters Beau Is Afraid. Das Gesamtkonstrukt ist nicht frei von Schwächen. Wer im Kino jedoch mehr erleben möchte als eine Abfolge von Standardsituationen, sollte dem Film trotz seiner ausufernden Laufzeit unbedingt eine Chance geben.

Eine der schwächeren Entscheidungen trifft der auch für das Drehbuch verantwortliche Aster bereits kurz nach dem mysteriös-beunruhigenden Auftakt, der die Geburt der Titelfigur aus ihrer eigenen Perspektive zeigt. Ein Beau mittleren Alters (Joaquin Phoenix) sitzt hier bei seinem Therapeuten (Stephen McKinley Henderson) und berichtet diesem von seinen Gefühlen angesichts des anstehenden Besuchs bei seiner Mutter Mona (eine Wucht: Patti LuPone), einer schwerreichen Unternehmerin. Für das Publikum deutlich sichtbar notiert sich der Psychiater das Wort „Schuld“ auf seinem Block und gibt damit unnötig früh vor, wie die nachfolgenden Ereignisse zu deuten sind, wo der Schlüssel für die Angststörungen des Protagonisten liegt.

Die Zeit der Erklärungen ist dann aber zum Glück erst einmal vorbei. Konsequent lässt uns der Regisseur im Anschluss an Beaus Alltag teilhaben, zwängt uns in die Sicht dieses überall nur Gefahren sehenden Neurotikers hinein. Das New York, das uns der Film präsentiert, gleicht einem dystopischen Kriegsschauplatz: In jeder Ecke Dreck, abgewetzte, finster dreinblickende Gestalten und ein nackter Serienkiller, der messerschwingend durch die Gegend läuft. Auch die eigenen vier Wände bieten keinen Schutz.

Die Flure von Beaus Wohnhaus fängt Bildgestalter Pawel Pogorzelski bedrückend klaustrophobisch ein, und ständig kommt Geschrei von der Tonspur. Obwohl sich der leicht untersetzte Mann mit dem schütteren Haar nichts zuschulden kommen lässt, klopfen Nachbarn unaufhörlich an die Wände, schieben Zettel unter seiner Türe durch, auf dass er seinen Lärm endlich einstellen möge. Wachwerden könnten in diesem Zusammenhang Erinnerungen an Roman Polanskis Identitätsthriller Der Mieter, in dem sich ein schüchterner Büroangestellter nach seinem Einzug in eine Pariser Wohnung von allen Seiten bedroht fühlt und langsam den Verstand verliert. Schwer zu glauben, dass sich Aster von dieser schauerlichen Großstadtmär nicht beeinflussen hat lassen.

Und wo wir schon bei filmischen Bezügen sind: Vor allem im weiteren Verlauf drängt sich auch Alfred Hitchcocks Klassiker Psycho mit seinem ungesunden Mutter-Sohn-Verhältnis auf. Beau, das deutet sich bereits in den ersten Szenen an, bereitet der Gedanke, nach Hause zurückzukehren, Unbehagen. Dass in der Beziehung zwischen ihm und Mona einiges im Argen liegt, kristallisiert sich mehr und mehr heraus, als seine Reisepläne in kafkaesker Weise durchkreuzt werden. Wohnungsschlüssel und Koffer sind plötzlich verschwunden. Der panische Beau verpasst seinen Flug. Und seine Mutter reagiert am Telefon mit latenter Vorwurfshaltung.

Bevor sich der Film zu einer Reise durch das Leben der Hauptfigur, ihre Zweifel, ihre Enttäuschungen auswächst, zu den Wurzeln einer Hassliebe zwischen Mutter und Sohn vordringt, schiebt Aster eine Passage ein, die von Rob Reiners Stephen-King-Verfilmung Misery inspiriert sein könnte. Durch eine Verkettung grotesker Umstände landet Beau kurz nach dem mysteriösen Diebstahl seiner Sachen schwerverletzt im Haus eines Arztes und dessen Ehefrau, die Nathan Lane und Amy Ryan mit einer überschwänglichen, ins Unheimliche kippenden Freundlichkeit verkörpern. Problematische Eltern-Kind-Dynamiken herrschen auch bei ihnen vor. Und was noch schlimmer ist: Beau soll offenbar eine klaffende Lücke schließen.

Spätestens in diesem Abschnitt merkt man, dass Logik keine große Rolle spielt oder, anders ausgedrückt, eine irrationale (Alb)Traumlogik das Geschehen bestimmt. Absurder Humor und horrorfilmartiges Grauen gehen Hand in Hand während Beaus seltsamer Odyssee, die das Klischee der mommy issues bedient, es allerdings derart radikal und audiovisuell ideenreich auf die Leinwand wirft, dass man dem Regisseur nicht wirklich böse sein mag.

Ja, Beau Is Afraid kommt zuweilen etwas prätentiös daher und hätte ein paar Straffungen vertragen können. In einer Kinolandschaft, die vor allem auf das Ausschlachten etablierter Marken setzt, geht dieses Werk jedoch einen anderen Weg, entführt uns auf einen irren Psychotrip und spielt gekonnt mit den Mitteln des Mediums. Wie schon in Hereditary – Das Vermächtnis und Midsommar schenkt uns die virtuose Kamera von Pogorzelski originelle Impressionen, Bilder, denen man sich nur schwer entziehen kann. Das Sounddesign ist bedrohlich-effektiv. Animationselemente überraschen. Und Joaquin Phoenix agiert sich, mal wieder, richtig aus.

Für manche mag all das nicht reichen, um den Film durchzustehen. Andere wiederum werden sich freuen, dass selbst 2023 noch ungezügelter Wahnsinn US-amerikanischer Provenienz möglich ist. Gespannt sein darf man auf jeden Fall, womit Ari Aster als Nächstes um die Ecke kommt. In kreativer Hinsicht müsste er nach diesem wilden Ritt eigentlich erst einmal ausgepumpt sein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/beau-is-afraid-2023