Chopin – Ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit (2021)

Heilende Musik

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der polnische Komponist und Pianist Frédéric Chopin (1810-1849) war ein Repräsentant der Romantik. In einer einzigartigen Mischung aus Sinnlichkeit, Improvisationsgeschick und Präzision entlockte er dem Klavier ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten. Während er sich im Jahre 1830 auf Reisen im Ausland befand, erfuhr Chopin vom Warschauer Novemberaufstand gegen die russische Regierung. Als es im darauffolgenden Jahr zur Niederschlagung des Aufstandes kam, fasste er den Entschluss, nach Paris zu gehen, statt in seine Heimat zurückzukehren. Es sollte ein Abschied für immer sein.

In ihrem Dokumentarfilm Chopin – Ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit porträtiert die Drehbuchautorin und Regisseurin Joanna Kaczmarek drei Pianisten, die von Chopins Leben und Wirken stark beeinflusst wurden – und die ein Musikstück des Komponisten an einem Kriegsschauplatz spielen, in der Hoffnung auf Heilung.

Wenn er darüber nachdenke, was in seinem Leben wichtig sei, komme ihm zuallererst die Musik in den Sinn, meint etwa der junge koreanische Pianist Won Jae-Yeon. Er sehe Musik als „eine der besten Formen von Psychotherapie“ an. Seine Heimatstadt Paju in der Provinz Gyeonggi-do in Südkorea ist nahe an der Grenze zu Nordkorea. Für sein besonderes Konzert wählt Won Jae-Yeon die Musik Chopins, da dieser das Piano nicht gespielt, sondern „zum Singen gebracht“ habe. Won Jae-Yeon stellt seinen Flügel in der Mitte der Seung-il-gyo-Brücke auf, die zur Hälfte von Nord- und zur Hälfte von Südkorea errichtet wurde. Im Publikum sitzen Menschen, die durch den Krieg Angehörige verloren haben oder die aus Nordkorea flüchten konnten.

Der naturverbundene Pianist Leszek Możdżer wiederum lebt in Masuren und will ein Konzert im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau geben, während der syrische Emigrant Fares Marek Basmadji, geboren in Aleppo, das Stadtzentrum von Beirut als Ort für seine Interpretation der Musik von Chopin aussucht.

Kaczmarek gelingt dabei in ihrem Film gewissermaßen ein Vierfach-Porträt. Über allem schwebt der Geist und die Kunst des Exilanten Chopin. Zugleich begleiten wir drei Männer, die alle ihren eigenen Bezug zu dem polnischen Komponisten haben und überdies ihre ganz individuelle Art und persönliche Geschichte. So folgen wir Leszek Możdżer in die Natur – in den Wald oder aufs Wasser in einem Boot. Wir laufen mit Fares Marek Basmadji durch die Straßen von Beirut. Und wir fahren mit Won Jae-Yeon an den Stacheldrahtzäunen vorbei, die die Grenze zwischen Süd- und Nordkorea markieren. In einem Mix aus feinen Detailaufnahmen, Landschafts- und Stadtbildern findet Chopin – Ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit eine einnehmende visuelle Sprache.

Der Film weist auf all die Menschen hin, die durch Kriege und durch Kriegsverbrechen fliehen mussten oder getötet wurden – und lässt unweigerlich daran denken, dass dies auch gerade in diesem Moment wieder geschieht. Er zeigt Menschen, die dem auf künstlerischem Wege etwas Hoffnungsvolles entgegensetzen wollen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/chopin-ich-fuerchte-mich-nicht-vor-der-dunkelheit-2021