Inside (2023)

Nemo – Allein zu Haus

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Survival-Dramen und -Thriller sind üblicherweise an abgelegenen Orten, etwa auf einer einsamen Insel wie in „Cast Away“ (2000), oder in extrem lebensfeindlichen Umgebungen, zum Beispiel in einer verschneiten, bitterkalten Winterlandschaft wie in „The Revenant“ (2015), angesiedelt. „Inside“, das Langfilmdebüt des 1977 in Volos, Griechenland geborenen Regisseurs Vasilis Katsoupis, schildert ebenfalls einen harten Überlebenskampf – jedoch in einer Luxuswohnung, mitten in einer Großstadt.

Das Drehbuch von Ben Hopkins, das dieser nach einer Idee von Katsoupis verfasst hat, erzählt vom Profi-Einbrecher und Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe), der im New Yorker Penthouse eines gerade für längere Zeit verreisten, renommierten Sammlers ein paar Gemälde von Egon Schiele stehlen will. Von seinen Komplizen wird er per Helikopter abgesetzt; die Alarmanlage ist rasch überlistet. Aber dann bewirkt das hochmoderne Sicherheitssystem plötzlich, dass alle Ein- und Ausgänge verschlossen werden, ehe es gänzlich zusammenbricht. Der Kontakt zu Nemos Leuten reißt ab – und der Dieb muss erkennen, dass er in einem goldenen Käfig gefangen ist, in dem das Wasser abgestellt ist und die Nahrungsmittel knapp sind.

Welche Gegenstände würden wir aus unserem Zuhause retten, wenn dieses in Flammen stünde? Diese Frage rahmt den Film – zusammen mit Überlegungen über den Wert von Kunst, die „für immer“ bliebe, und über den Zusammenhang von Schöpfung und Zerstörung. Der Protagonist ist umgeben von Kunstwerken und schönen Dingen, von Designermöbeln, die in der vertrackten Situation des Helden indes all ihre Absurdität offenbaren. Verfaulte Orangen auf dem Tisch erweisen sich etwa als schwere Kugeln, die das Natürliche, Vergängliche nachahmen sollen.

Der Kühlschrank spielt beim Öffnen derweil den Song Macarena von Los del Río; er spricht als künstliche Intelligenz gar mit Nemo und empfiehlt ihm einen lecker-gesunden Mint-Smoothie. Die Tonebene von Inside ist in vieler Hinsicht bemerkenswert – vom ohrenbetäubenden Geräusch der Alarmanlage, als das System zu Beginn außer Kontrolle gerät, bis hin zu den Lauten der Aircondition, die dazu beitragen, dass wir die zunehmende Hitze in der Wohnung spüren.

Es gelingt Katsoupis und seinem Kameramann Steven Annis, die Klaustrophobie erzeugende Atmosphäre perfekt einzufangen, die trotz des Panoramablicks über die New Yorker Skyline herrscht. Nicht zuletzt ist dies der hingebungsvollen Leistung von Willem Dafoe zu verdanken, der hier ein Paradebeispiel für intensives Körperkino liefert. Nemo leckt gierig das Eis aus dem Gefrierfach, wird in seinem Kampf ums Überleben immer kreativer und geht parasoziale Beziehungen zu dem Rezeptionisten und der Reinigungskraft ein, die er über Monitore der Überwachungskamera beobachten kann.

Inside wird so zu einer beeindruckenden One-Man-Show und zu einem mitreißenden Kammerspiel – einem kleinen Kunstwerk, das es wagt, unsere Einstellung zu Kunst zu hinterfragen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/inside-2023