Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten (2022)

Ungezügelte Raserei

Eine Filmkritik von Paul Katzenberger

Wie ist es, wenn sich sozial abgehängte Einzelmenschen zusammenfinden und merken, dass sie als Gruppe möglicherweise ihre Machtlosigkeit überwinden können? Der „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ begleitet eine kleine Gruppe der so bezeichneten Bürgerbewegung in der französischen Provinzstadt Chartres und zeigt, welche Hierarchien und Dynamiken entstehen, wenn sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe organisieren muss, um ihr gemeinsames Anliegen größerer sozialer Gerechtigkeit durchzusetzen. „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ belegt aber auch, dass eine Bewegung scheitern kann, wenn sie zu groß wird. Dann nämlich, wenn sich ihr Chaoten anschließen, denen es nicht um die Sache, sondern um die Ausübung von Gewalt geht.

Es ist kein Umsturz, aber für laufende Unruhe sorgt das Protest-Bündnis „Letzte Generation“ in Deutschland derzeit schon. Wer sich hierzulande nun Emmanuel Gras‘ Dokumentarfilm Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten über die nach ihren gelben Warnwesten bezeichnete Bürgerbewegung in Frankreich um die Jahreswende 2018/2019 ansieht, stellt sich unmittelbar die Frage, warum die „Letzte Generation“ eineinhalb Jahre nach ihrer Gründung immer noch große Wirkung entfaltet, während die Gelbwesten nach circa sechs Monaten in sich zusammenfielen.

Ist es der Umstand, dass der Klimawandel, den die „Letzte Generation“ anprangert, derzeit in aller Munde ist, während die Gelbwesten mit der sozialen Spaltung der Gesellschaft ein Problem benannten, das vielleicht abgedroschener erscheint? Was die Gelbwesten anprangerten wie die von  Präsident Emmanuel Macron geplante Erhöhung der Besteuerung fossiler Kraftstoffe und der aus ihren Augen zu niedrige Mindestlohn und unzureichende Renten sind ja eigentlich Themen, die nicht aus der Luft gegriffen zu sein scheinen.

Oder liegt es an den Protagonisten? Auf Seiten der „Letzten Generation“ erlangten zuletzt junge und redegewandte Aktivistinnen wie Carla Rochel oder Carla Hinrichs durch ihre häufige Einladung in die Talkshows schnell bundesweite Bekanntheit, während sich bei den Gelbwesten nie eine Führungsfigur herauskristallisierte, die in Frankreich einigermaßen prominent war. Aufstand der Gelbwesten gibt auf diese Fragen keine Antwort – und will es auch gar nicht tun. Es ist eher ein Dokument des Scheiterns. Der Film begleitet eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivsten aus der Provinzstadt Chartres im Nordwesten Frankreichs. Am Anfang fühlen sich durch ihre Gemeinschaft eine neue Stärke, die sie als sozial abgehängte Einzelmenschen vorher wahrscheinlich nie verspürt haben.

Doch dann ist der friedliche Protest, den sie eigentlich im Sinn für ihr Ziel einer größeren sozialen Gerechtigkeit haben, nicht umzusetzen. Bei der ersten Demo in Paris bittet die Aktivistin Agnès aus Chartres die Protestierenden inständig, in die Rue de Berri zu gehen. Denn für diesen Ort wurde die Demo angemeldet. Dort würde eine friedliche Demo von den Behörden als legal betrachtet werden. „Wir wollen friedliche Proteste. Wir sind friedlich“, ruft eine andere Aktivistin in ihr Megafon. Doch der Massenaufmarsch der Gelbwesten aus dem ganzen Land lässt sich nicht so ohne weiteres steuern. Ein Mann ruft zynisch: „Da geht’s zur friedlichen Demo“. Dann dreht er sich um und zeigt in die Gegenrichtung: „Da geht’s zur Gewalt.“

Noch schlimmer wird es bei einer zweiten Demo in Paris, die nicht angemeldet ist. Die Gewalt eskaliert so sehr, dass die Aktivistinnen und Aktivisten aus Chartres vollkommen desillusioniert sind. Die Kamera gleitet über eine Ladenzeile deren Rollgitter mit wüsten Parolen beschmiert sind: „Süßes Frankreich. Am Arsch“ steht da, und „Scheiß auf die Polizei“ oder „Macron und seine Huren“.

„Alles ist zerstört“ sagt Agnès. „All die Verletzten, all die Toten für nichts. Die Gelbwesten zerstören uns. Sie attackieren sich gegenseitig.“
Vielleicht ist das ja der Grund dafür, dass die „Letzte Generation“ noch immer eine wirksame Massenbewegung ist. Ihre Aktivistinnen und Aktivisten schaffen es, untereinander friedlich zu bleiben.

 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/eine-revolution-aufstand-der-gelbwesten-2022