Der Schatten von Caravaggio (2022)

Ein Porträt des Künstlers als junger Rockstar

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der italienische Maler Michelangelo Merisi (1571-1610), besser bekannt unter dem Namen Caravaggio, hat schon diverse Filmemacher:innen inspiriert – oft zu dokumentarischen Werken, aber auch zu TV- und Kino-Spielfilmen. Der prägendste unter diesen dürfte Derek Jarmans „Caravaggio“ (1986) sein, in dem mit beabsichtigten Anachronismen von einer queeren Ménage-à-trois zwischen dem Künstler, einem Dieb und dessen Frau erzählt wird.

Auch der Regisseur Michele Placido erlaubt sich in seinem Skript zu Der Schatten von Caravaggio, das er gemeinsam mit Sandro Petraglia und Fidel Sigorile geschrieben hat, einige Freiheiten – etwa durch die Erfindung eines Gegenspielers, der von Papst Paul V. beauftragt wird, im Umfeld des kontroversen Malers zu ermitteln. Diese Untersuchungen ergeben wiederum ein vielschichtiges Bild der ikonischen Titelfigur.

Der Plot ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts angesiedelt. Vor wenigen Jahren soll Caravaggio (Riccardo Scamarcio) einen Mord an einem Rivalen begangen haben. Ein Mann, genannt „Der Schatten“ (Louis Garrel), soll nun im Namen der Kirche alles über ihn in Erfahrung bringen, damit entschieden werden kann, ob Caravaggio für seine Tat zur Rechenschaft gezogen und zum Tode verurteilt wird. Und so befragt der geistliche Geheimagent, der seinem Zielobjekt durchaus kritisch gegenübersteht, sämtliche Menschen, deren Leben von dem Künstler beeinflusst wurden – darunter dessen wichtigste Mäzenin, die wohlhabende Marquise Costanza Colonna (Isabelle Huppert).

Spannend ist, dass Caravaggios angebliche Straftat in den Augen des Papstes nicht unbedingt das größte Verbrechen zu sein scheint. In seinen Arbeiten verbindet der Maler das Sakrale mit dem Profanen, indem er Prostituierte und Kriminelle als Modelle für seine Heiligenbilder verwendet. „Das Evangelium ist hier!“, lautet das Motto, mit dem die damals geltenden Regeln, was in der Kunst gestattet ist und was nicht, beherzt gebrochen werden. Placido setzt seinen Hauptdarsteller Riccardo Scamarcio in der zentralen Rolle als wilden, ungehemmten Rockstar in Szene, der gegen die christlichen Dogmen rebelliert und ohne Rast nach dem Wahrhaftigen sucht.

„Was hat Euch an ihm so fasziniert?“, fragt „Der Schatten“ in seiner Spionagetätigkeit an einer Stelle. Die Recherchen mit Krimi-Elementen erweisen sich als passende Methode, um eine berühmte Persönlichkeit in vielen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten. Dadurch wird das reizlose Abhaken biografischer Stationen vermieden. Zudem behauptet der Film auf diesem Wege keine Objektivität – sondern macht deutlich, dass es sich um die subjektiven Eindrücke von Wegbegleiter:innen und Zeug:innen handelt.

Wenn Louis Garrel auf Isabelle Huppert trifft und es somit zu einer Leinwand-Reunion des französischen Star-Duos aus Christophe Honorés Meine Mutter (2004) kommt, ist Der Schatten von Caravaggio in erster Linie funkelndes Arthouse-Kino, das mit großen Namen und einer aufwendigen Produktion lockt. Doch darüber hinaus gelingt es Placido und seinem Kameramann Michele D’Attanasio, den künstlerischen Stil Caravaggios bildsprachlich aufzugreifen, etwa mit kontraststarken Aufnahmen, die an die Hell-Dunkel-Malerei erinnern.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-schatten-von-caravaggio-2022