Unfriend

Verfluchtes Netzwerk

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Nachdem im kino-zeit.de-Blog erst kürzlich die Probleme von düsteren deutschen Genrefilmen beleuchtet wurden, steht die Veröffentlichung eines neuen Exemplars dieser nach wie vor unterrepräsentierten Gattung bevor. Auch wenn Unfriend mit englischsprachigen Darstellern besetzt und vorwiegend in Südafrika gedreht wurde, handelt es sich bei Simon Verhoevens vierter Regiearbeit um einen Horrorthriller aus hiesiger Produktion. Ähnlich wie in dem im Juli 2015 gestarteten Unknown User spielt darin die Online-Welt – konkret das soziale Netzwerk Facebook – eine zentrale Rolle. Allerdings mit dem Unterschied, dass der Zuschauer nicht über die gesamte Laufzeit an einen Laptopmonitor gefesselt ist. Unfriend entpuppt sich vielmehr als eine eigenartige Mischung aus modernen und altmodischen Versatzstücken, die trotz einiger gut platzierter Schockmomente nicht aus dem internationalen Genreoutput herausragen wird.
Laura (Alycia Debnam-Carey) hat wenig Grund zur Klage. Privat ist sie mit dem angehenden Mediziner Tyler (William Moseley) liiert, und im College-Umfeld erfreut sich die hübsche Psychologiestudentin großer Beliebtheit. Als sie eines Tages auf Facebook eine Freundschaftsanfrage der mysteriösen Marina (Liesl Ahlers) erhält, nimmt sie diese ohne weiter nachzudenken an. Die Kommilitonin belässt es jedoch nicht bei dieser Form der Annäherung, sondern drängt sich auf der Suche nach Anschluss mehr und mehr in Lauras Leben. Da es der jungen Frau bald zu bunt wird, zieht sie ihre Freundschaft auf der Online-Plattform zurück und glaubt, damit dem Spuk ein Ende bereiten zu können. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Denn die enttäuschte Marina bringt sich kurze Zeit später vor laufender Kamera um. Schlimmer noch: Schon bald beginnt das Sterben in Lauras engstem Freundeskreis.

Verhoevens Horrorfilm berührt Gefahren, die in der schönen neuen Internetwelt gerade von jungen Menschen unterschätzt werden. Das Netz vergisst nichts und funktioniert nach dem Prinzip des Schneeballsystems. Private Informationen und einmal abgesetzte Posts können sich zu einem Bumerang entwickeln und ungeahnte Folgen haben. Standen in Unknown User vor allem die unbedarfte Verbreitung brisanter Inhalte und das Phänomen des Cybermobbings im Mittelpunkt, zielt Unfriend auf den Kontrollverlust ab, den wir bei unseren täglichen Online-Aktivitäten häufig ausblenden. Laura erlebt den ultimativen Schock, als die Technik nach dem Tod der Stalkerin plötzlich verrücktspielt und das Selbstmordvideo ohne Zutun der Protagonistin in ihrem Facebook-Profil geteilt wird – was ihre weit über 800 Freunde für einen üblen Scherz halten. Fast niemand will der Studentin glauben, dass sie den geschmacklosen Eintrag nicht selbst in Umlauf gebracht hat.

Ein furchterregendes Szenario, das Lauras Beliebtheit langsam in den Keller sinken lässt. Wie ein regelmäßig eingeblendeter Facebook-Zähler verdeutlicht, kündigen immer mehr User ihre Freundschaft auf, da sie von den vermeintlichen Posts angewidert sind. Mit Marinas Tod verschiebt sich der Fokus langsam von einer Betrachtung der sozialen Medien hin zu eher klassischen Genremomenten. Mehrfach zieht Verhoeven die Jump-Scare-Karte und kann den Zuschauer gelegentlich ein wenig überraschen. Positiv fällt in jedem Fall auf, dass sich der deutsche Regisseur der konventionellen, um nicht zu sagen abgenutzten, Beschaffenheit mancher Szenen bewusst ist und daher gezielt mit den Erwartungen des Publikums spielt (Stichwort: offene Kühlschranktür). Andere Spannungspassagen werden hingegen nach Schema F abgewickelt und hinterlassen daher allenfalls einen flüchtigen Eindruck.

Als unausgegoren erweist sich mit zunehmender Dauer das Drehbuch, das Verhoeven zusammen mit Philip Koch und Matthew Ballen verfasst hat. Beginnt Unfriend wie ein üblicher Collegefilm mit Stalking-Anleihen, hält nach Marinas Selbstmord ein böser Fluch samt altbekanntem Abzählspiel und kruden Okkultismus-Anleihen Einzug in die Handlung. Originell oder besonders fesselnd sind diese Entwicklungen leider nicht. Figurentechnisch reiht sich der deutsche Horrorbeitrag in die lange Liste der Genreproduktionen ein, die nur das Nötigste tun, um den Betrachter für ihre Protagonisten zu interessieren. Laura und ihre Freunde sind Abziehbilder mit wenigen Eigenschaften. Und auch Marina bleibt trotz tragischer Hintergrundgeschichte eine klischeehafte Außenseiterin im Gothic-Look.

Etwas facettenreicher fällt da schon die optische Gestaltung aus. Vor allem im ersten Drittel bauen die Filmemacher immer wieder die aus Facebook bekannten Chat- und Nachrichtenfenster in den Hochschulalltag ein. Eine besondere Note erhält das Geschehen durch die düsteren Animationen, die Laura auf der Profilseite ihrer Stalkerin entdeckt. Bilder, die von Einsamkeit und Verzweiflung erzählen und im Grunde atmosphärischer geraten als etwa der Showdown in einem schummrigen Fabrikgebäude. Obwohl Unfriend dem gebeutelten deutschen Horrorkino nicht zu einem Befreiungsschlag verhelfen kann, bleibt doch zu hoffen, dass Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten weiterhin ihr Glück versuchen. Denn vielleicht macht auch in diesem Fall Übung irgendwann den Meister.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/unfriend