Die Geschichte vom Holzfäller (2022)

Sinnlos in Finnland

Eine Filmkritik von Falk Straub

Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird in Mikko Myllylahtis Langfilmdebüt mehrfach gestellt. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Die Antworten darauf fallen ausgesprochen sonderbar aus. Denn der Debütant entführt uns in ein Universum, das wahlweise als Traum, Variation einer biblischen Geschichte oder Version eines Lebens nach dem Tod durchgeht.

Auf die Frage, wer er sei, antwortet Pepe (Jarkko Lahti): „Holzfäller“. Wie sein bester Freund Tuomas (Hannu-Pekka Björkman) hat Pepe nichts anderes gelernt; arbeitet Seite an Seite mit ihm im Sägewerk seines Heimatdorfs im finnischen Norden. Ihre Bauhelme und warmen Winterjacken bilden kleine Farbtupfer in der endlos scheinenden Schneelandschaft. Als das Werk von gesichtslosen Schlipsträgern in dämonisch dröhnenden Nobelkarossen dichtgemacht wird, reagieren die Freunde unterschiedlich: Tuomas kommt nicht länger mit dem Leben zurecht, Pepe schult um. Seine neue Arbeit im Bergbau inszeniert Myllylahti wie einen Abstieg in die Hölle.

Vor diesem Einschnitt erscheint Pepes Leben geradezu paradiesisch; etwas eintönig zwar, aber idyllisch. Gemeinsam mit seinem Sohn, dem kleinen Tuomas (Iivo Tuuri), geht Pepe Eisfischen. Und gemeinsam mit seiner Frau Kaisa (Katja Küttner) schaut er zum abendlichen Kartenspiel beim erwachsenen Tuomas und dessen Frau Maija (Armi Toivanen) vorbei. Die Frage nach dem Woher treibt außer Pepes sinnkriselndem Kollegen Pauli (Tomi Alatalo) niemanden um. Ausgangs- und Endpunkt ist das Dorf.

Hier betreibt Kaisa eine kleine Buchhandlung, deren beste Kundin sie selbst ist. Hier putzt Pepes Mutter Irmeli (Ulla Tapaninen), die ihren Sohn als „Heulsuse“ beschimpft, die Kirche. Hier sind alle Figuren geboren und werden alle Figuren sterben; so wie Irmeli, die zu viel raucht und auf ihrem Totenbett im Krankenhaus das warme Gefühl vom Abpumpen all des Schleims in ihren Lungen mit Liebe verwechselt.

Es ist schließlich die Frage nach dem Wohin, die die Handlung vorantreibt; ausgelöst vom Verkauf des Sägewerks, der in einem Prolog in einer Berghütte bildgewaltig und an Caspar David Friedrich erinnernd über die Bühne geht, und vom Betrug der Ehefrauen, die ihre Männer mit dem schleimigen Dorffriseur hintergehen. Auch im Paradies lauert die Sünde.

Der 1980 geborene Myllylahti, der seine Laufbahn als Poet begann, mehrere Kurzfilme realisierte und gemeinsam mit Juho Kuosmanen das Drehbuch zu dessen Debütfilm Der Glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki (2016) schrieb, steckt voller schräger Ideen und hat viele davon in seinem in zwei Kapiteln erzählten Film untergebracht. Was als lakonische Komödie im Stile Aki Kaurismäkis beginnt, schlägt immer abstruser anmutende Seitenwege ein. Tuomas wird zum Axtmörder, brennende Autos rollen fahrerlos durchs Bild, ein sprechender Hecht verspricht Hoffnung und ein totgeschlagener übersinnlicher Sänger, der mit den Toten in Kontakt steht, wird von einem zotteligen Höllenhund angeknabbert.

Weil Pepe all das ausdruckslos hinnimmt und wie Hiob (oder Michael Stuhlbarg als Larry Gopnik in A Serious Man) seinen Glauben an das Gute in der Welt trotz aller Schicksalsschläge nie verliert, funktioniert all das ausgezeichnet. In einem Film über die Suche nach dem Sinn des Lebens muss nicht alles einen Sinn ergeben. Ganz im Gegenteil sind es gerade die an die Logik von Träumen erinnernden, nicht vorhersehbaren Wendungen und deren traumwandlerisch souveräne Umsetzung, die diesen Film zu einem Ereignis machen. 

Myllylahti ist das Kunststück des perfekten Debüts geglückt. In seinem undefinierbaren Genremix, der bei den Filmfestspielen in Cannes 2022 in der Nebensektion Semaine de la critique Weltpremiere feierte, stimmt einfach alles: das von Jarkko Lahti angeführte Ensemble, das sich wunderbar ergänzt, die betörenden 35mm-Bilder des Kameramanns Arsen Sarkisiants, die einen Dialog mit Myllylahtis poetischer und bedeutungsoffener Geschichte eingehen, Jonas Strucks von Chorälen getragene Musik, die die ohnehin schon abgehobene Handlung auch auf der auditiven Ebene in der Wirklichkeit entrückte Sphären hebt.

Die (vermeintliche) Botschaft, die der kleine Tuomas auf dem Rücken seines Vaters offenbart, wird spirituellen Menschen nicht gefallen. Wer hingegen wie Pepe akzeptiert, dass das Leben keinen Sinn hat, wird dafür mit dem Aufstieg in den Himmel belohnt. Paradox, surreal, genial.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-geschichte-vom-holzfaeller-2022