Die Legende vom Tigernest (2022)

Mein Freund, das Tigerbaby

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Freundschaft zwischen Mensch und Tier ist ein beliebtes Sujet des Kinos. Neben der Cop-Komödie (etwa „Scott & Huutsch“) und dem Melodram (zum Beispiel „Gefährten“) ist es vor allem der Kinder- und Familienfilm, der dieses Thema immer wieder aufgreift, um eine Annäherung zwischen menschlicher Hauptfigur und tierischem Gegenüber mit einer Coming-of-Age-Story zu verbinden. Moderne Maßstäbe haben dabei unter anderem „Free Willy“ (1993) und „Amy und die Wildgänse“ (1996) gesetzt.

Auch der italienische Regisseur Brando Quilici, Jahrgang 1958, zeigt in Die Legende vom Tigernest, wie ein adoleszenter Held eine ungewöhnliche und enge Verbindung mit einem Tier eingeht und im Laufe des Plots allmählich erwachsen wird. Der Protagonist heißt Balmani; verkörpert wird er von dem in Mumbai geborenen Jungstar Sunny Pawar, der 2016 als fünfjährige Version der zentralen Figur in Garth Davis’ Biopic Lion – Der lange Weg nach Hause ein eindrückliches Debüt gab und hier abermals voller Empathie spielt.

Balmani hat seine Mutter durch ein Erdbeben in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu verloren und kommt deshalb in ein Waisenhaus im Distrikt Chitwan. Obwohl sich Hannah (Claudia Gerini), die Leiterin der Einrichtung, aufrichtig darum bemüht, dass sich Balmani dort wohlfühlt, flieht der Junge alsbald vor dem Mobbing der anderen Kinder. Auf dem Weg zurück nach Hause rettet er eine sehr junge und kleine Königstigerin, deren Mutter gerade von einer Gruppe von Wilderern um den skrupellosen Anführer Samchai (Yoon C. Joyce) getötet wurde. Fortan müssen Balmani und das auf den Namen Mukti getaufte Tier vor den Wilderern flüchten. Und auch Hannah begibt sich auf die Suche nach ihrem Schützling.

Quilici war unter anderem für National Geographic und den Discovery Channel tätig und bringt seine dokumentarischen Erfahrungen gekonnt ein, um das Abenteuer von Balmani und Mukti in Szene zu setzen. Die Reise führt das Duo aus dem Grasland Zentralnepals ins urbane, laute und hektische Chaos von Kathmandu und schließlich in die Landschaft des Himalayas. Dort glaubt Balmani, gemäß der titelgebenden Legende vom Tigernest ein Kloster auf einem Felsvorsprung zu finden, das seiner tierischen Freundin den besten Schutz bieten kann, da einst ein Guru auf dem Rücken einer Tigerin an jenen Ort geflogen sein soll.

Die Bilder aus dem tropischen Dschungel, unter anderem von einer Gruppe von Nashörnern, sowie vom städtischen Treiben und von Bergen, Höhlen und Schneeflächen werden von Quilici und seiner Kameracrew beeindruckend eingefangen. Die extremen Bedingungen, unter denen Balmani und Mukti ihre Wanderung vollziehen müssen, wird für uns als Publikum – egal, ob Groß oder Klein – nachvollziehbar.

Das Skript, das Rupert Thomson und Hugh Hudson nach einer Story-Idee des Regisseurs verfasst haben, ist wiederum recht konventionell geraten. Die diversen Stationen und Begegnungen, etwa mit einer jungen Nomadin und mit dem Sohn eines Honigjägers, halten nur wenige Überraschungen bereit. Und auch die Zeichnung des Antagonisten Samchai ist überaus eindimensional. Die Wucht der Aufnahmen und die stimmige Interaktion zwischen dem Hauptdarsteller und der Tigerin sorgen jedoch insgesamt für solide Unterhaltung mit klarer Botschaft, die auch auf illegalen Handel mit wilden Tieren und auf Artenschutz aufmerksam macht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-legende-vom-tigernest-2022