Der Geschmack der kleinen Dinge (2022)

Zu viele Zutaten

Eine Filmkritik von Falk Straub

Einen Koch spielt Gérard Depardieu nicht zum ersten Mal. Vielleicht liegt es daran, dass er auch abseits der Kamera gern am Herd steht. Der 1948 geborene Darsteller, der seine Karriere als drahtiger Draufgänger begann, hat über die Jahre nicht nur an Körperfülle zugelegt, sondern seine Besitztümer auf den kulinarischen Bereich ausgedehnt. Depardieu ist Winzer, Inhaber von Weinbars und Luxusrestaurants, einer Fischhandlung sowie eines japanischen Feinkostgeschäfts. Ach, und ein Kochbuch hat er auch noch veröffentlicht. Die perfekten Voraussetzungen also für Slony Sows neuen Film.

Darin verkörpert Depardieu den Spitzenkoch Gabriel Carvin, der ganz oben auf der Karriereleiter angekommen ist. Sein Restaurant „Monsieur Quelqu'un“ sucht seinesgleichen und hat soeben den dritten Kristallstern erhalten. In einem innenarchitektonisch geschmackvoll modernisierten ehemaligen Kloster dinieren die Gäste mit Blick auf den Kreuzgang. Gemüse und Kräuter baut der Chef höchstpersönlich im einstigen Klostergarten an. Vor dem historischen Gemäuer stehen derweil die Luxuskarossen Schlange. Doch all der Erfolg macht den Erfolgsmenschen nicht glücklich.

Slony Sows Drehbuch handelt von einem Mann, der sein Privatleben dem Beruf geopfert hat und nun die Konsequenzen zu spüren bekommt. Gabriels Frau Louise (Sandrine Bonnaire) ist in die Arme eines anderen geflüchtet, sein Sohn Jean (Bastien Bouillon), der einmal die übergroßen Fußstapfen seines Vaters ausfüllen will, ringt verzweifelt um dessen Anerkennung. Sein jüngster Sohn Nino (Rod Paradot) hat der kapitalistischen Welt komplett entsagt. Um Gabriel selbst steht es auch nicht gut: Überarbeitet, übergewichtig und dem Alkohol zugeneigt, stirbt er beinahe an einem Herzinfarkt. Ein Weckruf, der ihn schließlich nach Japan führt, wo er mit einem Kollegen, dem Ramen-Koch Tetsuichi Morita (Kyôzô Nagatsuka), noch ein Hühnchen zu rupfen hat.  

Auf dem Papier liest sich das wie der nächste Wohlfühlfilm aus Frankreich. (Der deutsche Verleihtitel, der vom französischen Original Umami kaum weiter entfernt sein könnte, tut sein Übriges dazu.) Um sich rundum wohlzufühlen, bleibt Sows Mixtur aus Komödie und Drama jedoch zu unausgegoren. Zum einen liegt das an Depardieus Figur, die ungewöhnlich unsympathisch geschrieben ist und auch während ihres Selbstfindungstrips lange nicht zur Räson kommt. Dementsprechend schwer fällt die Identifikation. Zum anderen liegt es daran, dass Sow zu viele Geschichten auf einmal erzählen will und diese schludrig kredenzt.

Bereits im ersten Akt gehen die Geschmacksrichtungen wild durcheinander: Ein japanischer Geschäftsmann (Akira Emoto), den Gabriel unterwegs trifft, erzählt die Filmhandlung in einer langen Rückblende aus dem Off. Abrupte Ortswechsel und die Verschiebung des Fokus von einer Figur zur anderen stehen neben uninspirierten Montagesequenzen. Der Filmschnitt, den ebenfalls Sow selbst besorgt, ist ähnlich inkohärent und holpernd wie die Musik, die je nach Stimmungslage oder auftretender Figur munter in eine andere Tonart springt. Betritt beispielsweise Gabriels alter Freund Rufus (Pierre Richard), ein Fischer und Austernfarmer, die Szenerie, erklingt eine Seemannsfiedel im Hintergrund. Später sind unter anderem Händels „Sarabande“ und ein wenig Heavy Metal zu hören, mit dem eine japanische Schweinezüchterin ihre Viecher bei Laune hält.

Was der Off-Erzähler und Rufus überhaupt im Film verloren haben, bleibt schleierhaft. Der japanische Geschäftsmann hat mit dem Rest der Handlung nichts zu tun und auch Rufus' Rolle ist (wie manch weitere) überflüssig. Womöglich dient sie lediglich dazu, beim Kinopublikum nostalgische Gefühle zu wecken und die Dynamik zwischen Gérard Depardieu und Pierre Richard wiederzubeleben, die das Gespann in den drei Francis-Veber-Komödien Der Hornochse und sein Zugpferd (1981), Zwei irre Spaßvögel (1983) und Die Flüchtigen (1986) einst an den Tag legte. Allein, es gelingt nicht.

Was den Film indes am stärksten ausbremst, sind die vielen Handlungsstränge. Parallel zu Gabriels Suche in Fernost findet sein Sohn Jean zu Hause in Frankreich seinen eigenen Stil und erfindet die Küche des Nobelrestaurants neu. Derweil reist Nino seinem Vater hinterher und bringt Tetsuichis Enkelin Mai (Sumire) die Lebensfreude zurück. Nebenbei wird die Geschichte der Familie Morita angerissen und in Frankreich wie in Japan ein kritischer Blick auf soziale Medien geworfen. Die Suche nach Umami, jenem schwer zu beschreibenden gustatorischen Sinn, gerät unterdessen ebenso ins Hintertreffen wie der Humor.

Viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Dem Geschmack der kleinen Dinge dagegen hätte es gut getan, wenn außer dem Regisseur noch jemand anders am Drehbuch mitgeschrieben und es entschlackt hätte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-geschmack-der-kleinen-dinge-2022