Delta (2022)

Kampf um den Fluss

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Das Po-Delta ist ein atemberaubendes Labyrinth aus Kanälen und bekannt für seine lange Fischereitradition. Überfischung und die zunehmende Umweltverschmutzung haben den Fischbeständen zugesetzt, sodass die ökonomischen Lebensbedingungen der Fischer immer schlechter werden. Wie soll man mit diesem Problem nun umgehen? Wer darf auf Kosten der Natur weiterhin das eigene Überleben sichern? Und wer muss dabei leer ausgehen? Am Ende wollen alle nur eine Sache: irgendwie überleben.

In Delta lässt Regisseur Michele Vannucci diese Fragen in einem brutalen Überlebenskampf münden und verhebt sich an der Komplexität seiner Geschichte, der er sich von zwei Seiten nähern möchte. Auf der einen Seite steht Osso Florian (Luigi Lo Cascio), ein Umweltaktivist, der nicht länger gewillt ist, die zunehmende Verschmutzung der Gewässer hinzunehmen. Gemeinsam mit seiner Schwester hat er eine kleine Gruppe aus Umweltschützern gegründet. Diese sieht sich nun mit einem völlig neuen Problem konfrontiert, als rumänische Wildfischer hemmungslos wildern und der Unmut der lokalen Fischer wächst.

Nun versucht der Film aber die rumänische Seite gleichberechtigt zu führen. Die zentrale Figur dieses Erzählstrangs ist der Italiener Elia (Alessandro Borghi), der bei den "Fremden" eine neue Familie gefunden hat. Im Grunde will dieser ewige Außenseiter nur für das Überleben der Seinen sorgen, selbst wenn die Mittel illegal sein mögen. Und wer könnte es ihm verdenken? Zumal auch der örtliche Barbesitzer ordentlich am Fischfang mitverdient. Die Dinge sind selten so einfach, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.

Der Konflikt, der sich hier zuspitzt, dieses moralische Dilemma ist die logische Konsequenz knapp werdender Ressourcen. Und an eben diesen entzünden sich nun die tödlich endenden Auseinandersetzungen zwischen den Einheimischen und Elias Familie, die in einem unerbittlichen Kampf zwischen Osso und Elia kulminieren.     

Wie bereits angedeutet, will es Vannucci nicht gelingen, seine epische Geschichte in den Griff zu bekommen. Das beginnt bereits damit, dass er die Figuren und ihre jeweiligen Welten nur unzureichend einführt. Indem er sowohl Osso als auch Elia gerecht werden will, bleiben beide Männer grobschlächtige Drehbuchideen.

So wird beispielsweise die gutmütige Melancholie des Umweltaktivisten mit dem frühen Tod des Vaters begründet, an dessen Stelle Osso letztlich die sorgende Rolle einnimmt. In einer atmosphärischen Montage wird diese persönliche Vergangenheit mit historischen Aufnahmen aus dem Po-Delta übereinandergelegt. Doch löst sich diese Verbindung in Luft auf, da die Traurigkeit niemals filmischer Raum werden darf; das Innenleben der Figuren bleibt ein Fremdkörper.

Delta verlässt sich zu sehr auf die erhabenen Naturbilder, denen er keine glaubwürdigen Innenräume entgegensetzt, die den Figuren die Möglichkeit geben würden, überhaupt erst lebendig zu werden. Die Bar, in der sich ein Großteil der Handlung abspielt, bleibt ebenso Transitraum wie das alte Haus der rumänischen Fischer. Die in großen Bildern inszenierte soziale Topographie dieses Thrillers besteht letztlich aus leerer Beliebigkeit, an der auch die schönsten Drohnenfahrten nichts ändern. Eine gewissenhaftere Drehbucharbeit hätte Delta mit Sicherheit nicht geschadet.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/delta-2022