Aus meiner Haut (2022)

Mein Körper gehört zu mir

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Kann man einen anderen Menschen wirklich verstehen, wenn man nicht wortwörtlich in seiner Haut steckt? Vermutlich nicht. Von dieser Prämisse geht das Spielfilmdebüt „Aus meiner Haut“ von Alex Schaad aus und führt in der Folge ein Gedankenexperiment durch, das so simpel wie einmalig ist.

Dabei stehen Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) im Mittelpunkt. Das Paar kommt auf eine Insel, die etwas Idyllisches, aber auch Verwunschenes hat. Leyla ist der Einladung ihrer ehemaligen Kommilitonin Stella (Edgar Selge) gefolgt, deren Vater an diesem Ort etwas ganz Besonderes geschaffen hat. Jedes Jahr im Sommer finden sich die Menschen paarweise ein und unterziehen sich einem Ritual: Sie tauschen ihre Körper nach dem Losverfahren miteinander aus. 

Wie das aussehen kann, führt das Drehbuch auch sofort vor Augen. Stella ist nämlich im Körper ihres Vaters stecken geblieben. Ein Rücktausch mit ihm war nicht mehr möglich, weil er in ihrem Körper plötzlich an einem Blutgerinnsel im Kopf gestorben ist. Geschickt spielt der Film mit der Irritation, die beim Zuschauer bei dieser Erkenntnis entsteht. Sie weicht sehr schnell einer großen Neugier, die Aus meiner Haut vollumfänglich bedient. Aber anders, als man es erwarten würde, nicht mit dem Auffahren einer ganzen Reihe von Spezialeffekten, sondern ganz im Gegenteil mit auffällig reduzierten Mitteln. 

Essentiell ist dabei die schauspielerische Leistung des Darstellerensembles. Abgesehen von Mala Emde und Jonas Dassler, die das Pärchen im Fokus der Geschichte spielen, treten Maryam Zaree und Dimitri Schaad als weiteres Paar Fabienne und Mo auf, mit dem Leyla und Tristan in einem ersten Schritt ihre Körper tauschen. Es ist eindrücklich, wie die vier die Nuancen der verschiedenen Persönlichkeiten, die sie übernehmen, herauszustellen vermögen. Dies gelingt ihnen, ohne jemals ins Karikaturhafte zu verfallen, auch wenn an einzelnen Stellen die Gefahr dazu, gedroht hätte. 

Dazu gehört beispielsweise die Konfrontation von Dimitri Schaad und Jonas Dassler als Mo und Tristan. Mo fühlt sich in Tristans Körper, der jünger und trainierter ist als seiner, wohl, er gibt ihm den Aufwind, den er gebraucht hatte. Das unterstützt nur noch seinen an sich selbstverliebten Charakter, weswegen es nicht ganz so erstaunlich ist, dass er sich von seinem eigenen Körper angezogen fühlt. Tristan seinerseits spürt in Mos Körper, dass dessen offensives Macho-Verhalten mit einer tiefgründigen Unsicherheit zusammenhängt. 

Welchen Einfluss hat unser Körper auf unsere Gefühle und unsere Persönlichkeit? Einen entscheidenden, sagen Regisseur Alex Schaad und sein Co-Drehbuchautor und Bruder Dimitri Schaad. Es geht dabei nicht nur um die Größe, die Haarfarbe oder das Gewicht, sondern auch um Dinge wie die Sehkraft oder das Gehör sowie den gesamten Hormonhaushalt. Alles beeinflusst, wie wir uns wahrnehmen und die Welt wahrnehmen. Im Fall der Hauptfigur Leyla wirkt ihr Körper gegen sie. Sie kommt aus ihrer Depression einfach nicht heraus. Erst in Fabiennes Körper und dann in Romans (Thomas Wodianka) schöpft sie Hoffnung. Sie macht wieder Sport, ist viel ausgeglichener. 

Abgesehen von diesem Grundthema, geht es in Aus meiner Haut auch buchstäblich um die Chemie die zwischen zwei Menschen stimmen muss, wenn sie miteinander eine Beziehung eingehen wollen. Kann eine Beziehung bestehen, wenn ein Teil davon durch eine massive Veränderung geht, wenn sich dadurch ein neues Konstrukt bildet und es zu einer neuen Machtverteilung kommt? Der Film maßt sich nicht an, darauf eine einfache Antwort zu geben, vielmehr plädiert er für mehr Empathie für den anderen. Dafür hat er ein symbolisches Mittel gefunden.

In der Ästhetik und auch in den verwendeten Motiven kommt einem Aus meiner Haut vertraut vor. Auf der Bildebene hat sich Schaad von Ritualen und Glaubenssätze religiöser Gemeinschaften inspirieren lassen. Dazu gehört der Brauch der Ganzkörpertaufe oder das sich in Trancemeditieren oder -singen, genauso wie das Konzept der Wiedergeburt. Die große Stärke des Films ist dabei, dass er diese Elemente für sich nutzt, ohne sie zu ideologisieren. Überhaupt verzichtet das Drehbuch, auf einen moralischen oder belehrenden Tonfall.

Die Farbpalette ist von matten Tönen dominiert, das Licht ist fahl, das Bild wirkt leicht körnig. Alles passt zu einer schwer definierbaren, aber von der Gegenwart versetzten Zeit, die etwas Melancholisches und Urzeitliches hat. Dazu passt der sonore, tiefe Chorgesang, der das Geschehen zu kommentieren scheint und dem Film einen Barocken Einschlag gibt. Es ist äußerst bemerkenswert, was die Schaad-Brüder hier sowohl intellektuell als auch künstlerisch erreicht haben. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/aus-meiner-haut-2022